Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
seiner Tochter entglitten, und er drückte sie fester, um sie zurückzuhalten. Die junge Frau schlug die Augen nieder.
»Ja, Papa. Aber nicht sehr oft, macht Euch keine Sorgen.«
»Liebst du ihn wirklich?«
Sie zögerte.
»Mehr, als ich je für möglich gehalten hätte.«
»Hmmm …«
Isabelle sah auf die Hände hinunter, die sie festhielten, und erkannte mit einem Mal, wie stark ihr Vater gealtert war. Die mit einem weichen, goldfarbenen Flaum bedeckte Haut war so dünn wie Reispapier und ließ ein Netz bläulicher Adern durchscheinen. Ob sie auch so schwarz werden würde wie bei den Toten, die man unter einer Schneedecke liegen ließ, bis der Boden auftaute? Der Skorbut forderte so viele Opfer unter den Soldaten … Sie hatte Angst um Alexander und brachte ihm regelmäßig Äpfel aus dem Vorrat ihrer Mutter.
»Ich wünsche mir für dich ein Leben in Wohlstand und Glück. Doch oft muss man das eine für das andere opfern. Du wirst bald eine Wahl treffen müssen, Isabelle. Denk gut darüber nach.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was Ihr mir zu sagen versucht, Papa.«
Er nickte. Sie wischte sich die Augenwinkel mit dem Laken und unterdrückte ein Schluchzen.
»Liebt er dich?«
»Alexander? Ja.«
»Hmmm … Nun ja, welcher Mann würde sich nicht in dich verlieben? Was ich dir zu sagen versuche, Tochter, ist… Du hast meinen Segen … sollte dein Herz sich für diesen Alexander Macdonald entscheiden.«
Verblüfft hob sie den Kopf.
»Euren Segen? Ihr meint…«
»Ich habe gelernt, dass man Liebe nicht befehlen kann und dass Fügsamkeit nur eine Tugend ist, aber nicht von Herzen kommt. Manche Menschen scheinen eher dazu geeignet, sich in Gehorsam zu üben, aber ich weiß, dass du dazu nicht in der Lage sein wirst. Dafür ähnelst du deiner Mutter zu sehr… Wahrscheinlich kannst du das kaum glauben, aber Justine ist nicht immer so gewesen, wie du sie heute kennst. Einst war sie die Lebensfreude in Person. Wie ein Wirbel von Farben an einem Regentag, ein Sonnenstrahl … Doch in meiner Verbissenheit, sie zu besitzen, habe ich dieses Licht zum Verlöschen gebracht. Sie leuchtete für einen anderen als mich. Verstehst du, Isabelle, ich habe deine Mutter gezwungen, mich zu heiraten. Sie hat mich nicht geliebt.«
»Papa?«
Sein Geständnis bestürzte Isabelle. Sie ließ die Hand ihres Vaters los, die sie immer noch festgehalten hatte, und runzelte die Stirn. Mit einem Mal fielen ihr die Liebesbriefe wieder ein, die sie zufällig in der alten Truhe auf dem Dachboden gefunden hatte. Sie war selbstverständlich davon ausgegangen, dass sie von ihrem Vater stammten, obwohl die Handschrift nicht die gewesen war, die sie kannte, und sie erinnerte sich an den einen, auf Englisch verfassten Brief, den sie zwischen den Seiten eines ihrer Bücher versteckt hatte. Dann waren sie also von einem anderen Mann? Sollte ihre Mutter einen Liebhaber gehabt haben?
»Ihr braucht mir das nicht zu erzählen, Papa.«
»Doch, Isabelle, ich muss und ich will. Da sind so viele Dinge, die auf meinem Herzen lasten und mich ersticken… Dinge, von denen du nichts weißt und …«
Charles-Hubert hob eine zitternde Hand, ließ sie aufs Bett zurückfallen und ballte sie zur Faust. Er zog die Augen zusammen und sah die junge Frau mit einem seltsamen Blick an. Dann wandte er sich ab und sprach weiter.
»Mein Testament liegt bei Notar Panet, der es an einen seiner Kollegen weitergeben wird. Sein Gesundheitszustand zwingt ihn, sich auszuruhen … Alles ist bereit.«
»Sprecht nicht vom Sterben«, stöhnte Isabelle und vergrub das tränenüberströmte Gesicht in den Händen. »Ich ertrage es nicht, wenn Ihr von mir geht …«
»Meine Kräfte verlassen mich, Isabelle. Es ist Gottes Wille. Da dein Bruder Louis nicht hier ist, möchte ich mir von dir… einen letzten Dienst erbitten.«
Isabelle nickte, hob den Kopf und begegnete dem düsteren Blick ihres Vaters, der auf sie gerichtet war.
»Ich tue alles, worum Ihr mich bittet«, gelobte sie laut schluchzend.
»In meinem Arbeitszimmer, auf dem höchsten Brett des Bücherregals, befindet sich eine schwarze Kassette, die hinter meinen Logbüchern versteckt ist. Ich möchte, dass du sie nimmst und einer Freundin bringst, die mir sehr teuer ist.«
»Einer Freundin?«
»Marie-Josephte Dunoncourt. Sie lebt bei ihrer Schwester in Château-Richer, Madame Anne Chénier.«
»Anne Chénier«, wiederholte Isabelle, um sich den Namen einzuprägen. »Und wer ist diese Madame
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