Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
viel getrunken. Fluchend richtete er sich vollständig auf und drehte sich um. Er erstarrte, als er Isabelle erblickte, die ihn entsetzt ansah.
Den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen, schüttelte sie den Kopf. Dann rannte sie zur Tür und stieß dabei einen Gast an. Die kühle Abendluft empfing sie und ließ sie erschauern. Sie hörte, wie Alexander nach ihr rief. Wie dumm von ihr, herzukommen und zu glauben, hier würde sie Arme finden, in die sie sich werfen konnte. Offensichtlich hatte Alexander schon genug damit zu tun, eine andere zu trösten!
»Isabelle! Wait! God damn! Isabelle!«
Als sie flüchtete, hatte die junge Frau ihre Laterne fallen gelassen und rannte jetzt in die Dunkelheit hinein. Vor ihren Augen verschwamm alles, das Herz schlug ihr zum Zerspringen, und vor Schluchzen war ihre Kehle wie zugeschnürt. Als sie sich sicher war, nicht mehr verfolgt zu werden, fiel sie auf die Knie und ließ zu, dass der Schmerz ihren ganzen Körper ergriff. Ein Dolchstoß hätte sie nicht schlimmer verwunden können. Wie sie Alexander hasste! Nie zuvor hatte sie jemanden so gehasst. Er hatte sie verraten …
»Geh zum Teufel, Alexander Macdonald!«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
In der Dunkelheit stolperte Alexander und schlug der Länge nach auf die Straße. Isabelle war um die nächste Ecke verschwunden. Er hatte sie unwiderruflich verloren… Stöhnend stand er auf. In diesem Moment hörte er jemanden lachen und wandte den Kopf: Da stand Macpherson und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Fahr zur Hölle, Macpherson!«
»Ich fürchte, du hast wirklich kein Glück bei den Damen, Macdonald. Sie nehmen alle Reißaus vor dir …«
»Halt dein Maul!«
Mit geballten Fäusten starrte Alexander ihn zornig an.
»Aber wie sagt man doch so schön … Ein Mann, der eine Frau verliert, schließt wieder Bekanntschaft mit seinen zehn Fingern!« , spottete er und griff sich mit einer obszönen Geste an den Schritt.
Im nächsten Moment ging er, von einem wohlgezielten Kinnhaken gefällt, vor den Neugierigen, welche die Szene verfolgt hatten, zu Boden. Alexander verzog das Gesicht, rieb sich die schmerzenden Fingerknöchel und beugte sich schwankend über ihn.
»Du hast recht: Ich bin gut Freund mit meinen zehn Fingern. Und wenn du nicht die fünf anderen auch noch kosten willst, kann ich dir nur raten, dein Maul zu halten.«
Während der darauffolgenden Woche verschlechterte sich Charles-Huberts Zustand beträchtlich. Nach einem zweiten Schlag war der Kranke halbseitig gelähmt. Isabelle wich praktisch nicht mehr vom Bett ihres Vaters, schlief in einem Sessel und aß am Schreibtisch in seinem Zimmer. Erfolglos versuchte Madeleine, sie aus dem Raum mit der düsteren Stimmung und der abgestandenen Luft zu locken; die junge Frau schien jede Lebensfreude verloren zu haben.
Am Abend des 7. April schickte Justine Baptiste und Perrine getrennt auf den Weg, um den Priester zu holen, der ihrem sterbenden Gatten das Bußsakrament, die Kommunion und die Letzte Ölung spenden sollte. Sie war überzeugt davon, dass diese englischen Ketzer den Teufel mit nach Québec gebracht hatten. Doch der Teufel, der gewiss darauf aus war, die Ankunft des Priesters zu verzögern und sich so der Seele des Sterbenden zu bemächtigen, konnte sich nicht um zwei Sendboten zugleich kümmern. Kurz vor Mitternacht tat Charles-Hubert Lacroix seinen letzten Atemzug. Er war achtundfünfzig Jahre alt geworden. Isabelle war untröstlich und vergrub sich in ihren Kummer.
Die Totenwache und das Begräbnis zogen wie ein Traum an der jungen Frau vorüber. So versunken war sie in ihren großen Schmerz, dass sie die Tränen, die ihre Mutter vergoss, gar nicht bemerkte. Anschließend verlas Pierre Larue, der junge Notar, das Testament. Interesselos hörte sie zu, wie er die Besitztümer ihres Vaters aufführte, und reagierte nicht einmal, als er enthüllte, wie schlecht es tatsächlich um die Familiengeschäfte stand. Wenn der König sich irgendwann bereitfand, das Papiergeld der Kolonialverwaltung einzutauschen, wären sie gerettet. Falls nicht, dann stand es schlecht um sie …
Justine lud Monsieur Larue noch zum Abendessen ein. Isabelle ließ die Anwesenheit des jungen Mannes, der nur Augen für sie hatte, vollkommen gleichgültig. Sie war höflich, nichts weiter, und entschuldigte sich bald, um früh zu Bett zu gehen und vielleicht im Schlaf ein wenig Vergessen zu finden.
In den darauffolgenden Tagen und Wochen strengte
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