Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
etwas zum Anziehen finden. Ohne Kleidung würde er die nächste Nacht nicht überstehen, denn schon jetzt begann er mit den Zähnen zu klappern. Anschließend würde er sich etwas zu essen suchen.
Hinkend strich er an den Mauern entlang, warf einen Blick in die Fenster und durchforschte die Winkel der Gasse auf der Suche nach einem Eingang. In dem Moment, als der Umriss einer Kutsche aus dem Nebel auftauchte, hatte er endlich einen gefunden. Er sprang in einen Torbogen, der sich hinter ihm auftat, und fand sich auf einem verlassenen Hof wieder. In der Nähe wartete ein Stapel Holzklötze darauf, dass jemand sie hackte. Eine Axt lehnte daneben. Die Türen des Pferdestalls waren geschlossen. Alexander erblickte ein Nebengebäude, dessen Dach eingesunken war, bestimmt die Latrine, und einen kleinen Anbau, den er für die Milchkammer hielt. Er trat näher heran.
Der Raum war dunkel; ein wunderbarer Geruch nach Fleisch hing darin. Er hatte solchen Hunger … Er schluckte den Speichel hinunter, der ihm im Mund zusammenlief, und tat ein paar Schritte. In diesem Moment wurde eine Tür weit aufgerissen, und eine nur verschwommen erkennbare Gestalt tauchte langsam aus dem Halbdunkel auf. Auf der Schwelle erstarrte die Silhouette, und Alexander erkannte, dass sie Röcke trug. Der Knabe stand wie gebannt da und wagte weder sich zu bewegen noch etwas zu sagen. Ob die Frau ihn gesehen hatte? Ein leiser Aufschrei, den sie mit der Handfläche erstickte, gab ihm die Antwort.
Verzweifelt warf er sich der Frau zu Füßen, um sie anzuflehen, sie möge schweigen. Als sie seinen Geruch wahrnahm, stieß sie ihn heftig zurück, trat einen Schritt nach hinten und hielt sich die Nase zu.
»Puhhh! Wo kommst du denn her, dass du so stinkst?«
»Aus … dem Gefängnis«, gestand er naiv.
Verblüfft starrte sie ihn an.
»Was? Aus dem Tolbooth?«
Wieder sah sie ihn an und riss die Augen auf.
»Aber du bist doch nur ein Junge! Wie alt bist du?«
»Ähem … vierzehn …«
Sie trat zur Seite, um mehr Licht einzulassen, und betrachtete ihn aufmerksam.
»Hmmm … Was willst du, und wie ist dein Name?«
»Ich heiße Alasdair … Dhu. Ich brauchte etwas zum Anziehen … irgendetwas, um mich zu bedecken. Und vielleicht noch ein Stück Brot… Nichts weiter, das schwöre ich Euch.«
»Bist du allein?«
»Ja.«
Sie inspizierte die entfernteren Winkel der Milchkammer, um sich zu vergewissern, dass er die Wahrheit sagte. Dann richtete sie die dunklen Augen auf ihn und schwieg eine Weile. Alexander nahm ihre zweifelnde Miene wahr und fürchtete einen Moment lang, sie werde schreien und ihn verraten, und er fände sich schon bald im Gefängnis wieder. Oh nein! Nur das nicht… Er würde sich lieber wehren und dabei totschlagen lassen, als wieder dorthin zurückzugehen.
»Also, du bist ja ganz blau gefroren! Komm, du brauchst zuerst einmal ein schönes Bad und dann saubere Kleider. Ich habe vielleicht etwas, das dir passt. Und erst danach bekommst du etwas zu essen.«
Alexander schwankte. Die Erleichterung verschlug ihm die Sprache. Dann schmeckte er eine salzige Träne auf seinen aufgesprungenen Lippen.
Im Kamin brannte ein kräftiges Feuer und ließ Schatten auf Alexanders ausgemergelten Zügen tanzen. Er hatte die Augen geschlossen, hielt eine Hand auf den Magen gelegt und wartete darauf, dass die Krämpfe vorübergingen. Vielleicht hätte er sich doch mit Brühe und Brot zufriedengeben sollen, Fleisch hatte er nicht mehr gegessen seit… Wann? Oh! Er konnte sich nicht einmal erinnern.
Draußen stöberten Tausende kleiner Flocken umeinander. Die Dächer überzogen sich mit einer dünnen Schneeschicht. Nachdem er nun sauber und in Sicherheit war, spürte er, wie ihn in der Wärme, an die er gar nicht mehr gewöhnt war, der Schlaf überwältigte. Die Tür ging. Mit einem Sprung flüchtete er sich unter den Tisch und beobachtete den Kücheneingang. Der braune Rocksaum der jungen Frau tauchte auf, und er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Das Hausmädchen hatte ihm versichert, dass ihre Herrin erst nach dem Unwetter zurückkehren würde. Aber nach dem, was er so lange erlebt hatte, war er schreckhaft wie ein wildes Tier.
Das lächelnde Gesicht des Mädchens erschien. Sie war kaum älter als fünfzehn oder sechzehn. Wirklich hübsch war sie nicht mit ihren zu eng stehenden Augen und der Nase, die leicht nach rechts zeigte, aber sie besaß ein freundliches Lächeln, das einem das Herz erwärmte. Für ihn reichte das aus, um
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