Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Raumes, um in dem widerwärtigen Leichenhaufen nach einem Platz zum Hinlegen zu suchen. Die beste Idee schien es zu sein, sich an seinen Freund zu schmiegen. Eine Frau beobachtete entsetzt sein Tun, sagte aber nichts, als er sich auf dem kalten Boden ausstreckte. Um sich herum vernahm er Stimmengemurmel und angeekelte Ausrufe. Doch die Frau brachte sie sofort zum Schweigen. Sollte er sein Hemd ausziehen? Würden die Soldaten ansonsten Verdacht schöpfen? Keine Zeit mehr!
Der Riegel knarrte, und die schleppenden Schritte der Bettler, die in die Zelle traten, ließen sich in demselben Moment vernehmen, als er sich mit dem Gesicht zum Boden an O’Sheas starren Körper presste. Der Geist eines Gottesmannes würde sich gewiss nicht seiner Seele bemächtigen.
»Los, beeilt euch, ihr faulen Nichtstuer!«, brüllte einer der Soldaten. »Wir haben noch mehr davon… Herrgott, wie das stinkt!«
Es war kalt. Sein Herz schlug zum Zerspringen. Seine Glieder waren wie gelähmt. Wie sein Freund gesagt hatte, machten sich die Soldaten nicht die Mühe, sich davon zu überzeugen, ob die Körper tatsächlich leblos waren, bevor sie sie abtransportierten. Der Verantwortliche erfragte den Namen des Toten, schrieb ihn in sein Register und wandte sich dann dem nächsten zu. Doch der Mann, der Alexanders Knöchel umfasste, spürte die Wärme, die davon aufstieg. Die Frau, die Alexander kurz zuvor beobachtet hatte, erklärte sofort, er sei vor kaum einer Stunde gestorben.
Die Angst hatte den Körper des Jungen gelähmt, und er hatte unwillkürlich die Muskeln entspannt und sich nass gemacht. Der Soldat bemerkte das und wollte mit der Spitze seines Bajonetts auf ihn einstechen. Sogleich kreischte die Frau, man dürfe die Körper der Verstorbenen nicht verstümmeln, das sei Gotteslästerung. Der Soldat, der schon auf Alexanders Nierengegend gezielt hatte, schrak zusammen und traf ihn stattdessen in den Schenkel. Alexander rührte sich nicht. Er war dermaßen durchgefroren, dass er den Stich der Stahlspitze kaum spürte.
»Wisst ihr seinen Namen?«
»Ich glaube, er hieß Alasdair. Alasdair Dhu Macdonald aus Glencoe.«
»Glencoe? Hmmm … Nun gut«, brummte der Soldat beim Schreiben.
Mit großer Mühe gelang es dem Jungen, nicht vor Angst und Kälte zu zittern. Der Soldat versetzte ihm noch einen Fußtritt in die Rippen, dann war er anscheinend zufrieden und ließ ihn aus der Zelle tragen, worauf er sich der nächsten Leiche widmete.
Alexander fand sich auf einem Karren wieder, auf Leichen liegend, die Gestank und Körperflüssigkeiten ausschieden. Er musste stark an sich halten, um sich nicht zu erbrechen. Das stinkende Gas, das von den Kadavern aufstieg, die unheimlichen Laute, die aus den Mündern der von dem Karren durchgerüttelten Leichen kamen, widerten ihn an, und am liebsten hätte er laut geschrien. War das der Tod? Er verfluchte O’Shea für seine Idee, und dann verwünschte er sich selbst, weil er nicht mit ihm gestorben war. Schließlich gelang es ihm, sich auf die Freiheit, die vor ihm lag, und auf seinen Herzschlag zu konzentrieren, der ihn daran erinnerte, dass er noch am Leben war.
Unter ihm knarrten die Räder; der Fuhrmann summte eine Ballade vor sich hin. In einer dunklen Straße gelang es Alexander, sich aus der eisigen Umarmung einer Frau zu befreien, die ihn zu ersticken drohte. Auf seinem Bauch lag eine Hand, an der zwei Finger fehlten. Der Priester. Ein bitterer Geschmack stieg ihm in den Mund. Mit einem kräftigen Fußtritt befreite er sein Bein, das unter einem Torso festgeklemmt war, rollte sich auf die Seite und ließ sich an der Biegung einer Gasse schlaff vom Wagen fallen. Ohne sich zu regen, schlug er vorsichtig ein Auge auf. Der Wagen ratterte weiter. Er wartete noch einen Moment, bis er ganz sicher war, dass er sich weit genug entfernt hatte. Dann rappelte er sich mühsam auf die Beine und erbrach einen dünnen Faden Galle. Er war frei …
Alexander hatte es geschafft, er konnte es kaum glauben, er war frei! Er schlug die Augen zum Himmel auf und dankte Gott und O’Shea. Schwindlig vor Schwäche hielt er sich an der Wand fest, um nicht zusammenzusacken, und schaute sich um. Es war noch sehr früh. Die Gasse war verlassen, und von den Ufern des Ness stieg dichter Nebel auf, der seine Flucht begünstigen würde.
Er tat ein paar Schritte und spürte, wie der eisige Schlamm zwischen seinen Zehen hervorquoll. So taub vor Kälte und nur mit seinem zerlumpten, schmutzigen Hemd bekleidet, musste er
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