Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
gelesen. Das Tal von Glencoe war ihm von jetzt an verschlossen. Vielleicht war es ja alles in allem das Beste, wenn er als Sklave in die Kolonien verkauft würde …
Die abgemagerten Finger seines Freundes drückten seinen Arm, und er wurde aus seinen düsteren Gedanken gerissen. Er wandte sich ihm zu.
»Alas … dair«, hauchte der alte Priester, »hör mir zu … Du musst … dieses Gefängnis verlassen. Du musst leben…«
»Aber …«
»Hör zu … Lass mich ausreden … Unterbrich mich nicht… Ich … habe nicht… mehr viel Zeit. Ich werde sterben. Ich spüre schon, wie das Blut in meinen Adern stockt… und mein Gehirn taub wird. Ich habe… eine Idee. Sie ist nicht besonders reizvoll, aber sie … ist die einzige, die funktionieren könnte. Kurz bevor sie … die Toten holen kommen, leg dich zwischen sie.«
Entsetzt riss Alexander die Augen auf; sein Herz zog sich schmerzlich zusammen. Doch O’Shea drückte seinen Arm, um ihn zu beruhigen und zu ermutigen.
»Ich werde in deiner Nähe sein, Alasdair, und über deine Seele wachen … Ich habe sie beobachtet. Sie machen sich nicht die Mühe festzustellen, ob die Menschen wirklich tot sind. Die armen Teufel … die Wächter treiben sie mit dem Bajonett vor sich her, und sie denken nur daran, ihre scheußliche Aufgabe so rasch wie möglich hinter sich zu bringen. Mit ein wenig Glück … wirst du frei sein …«
»Das schaffe ich nie! Das sind doch verwesende Leichen!«
»Omen nominis, dein Name ist ein Omen … Du trägst den Namen eines Kriegers, Alasdair. Alexander der Große hat sich seinem Schicksal gestellt, ohne sich abzuwenden. Und ist Mac Dhòmhnuill nicht der Herr der Welt? Du musst es versuchen… Das ist deine einzige Chance… Der Winter hat gerade erst begonnen … Hier wirst du krepieren wie ein Hund. Rette dich. Atme die Freiheit… um meinetwillen. Wenn Gott dich zu sich rufen will, dann soll er es tun, wenn du den Sternenhimmel über dir siehst …«
»Die Sterne«, flüsterte Alexander.
Es war so lange her, dass er sie gesehen hatte…
»Libera me, Domine, de morte aeterna, in die illa tremenda…« , murmelte Daniel O’Shea schwach. Errette mich, Herr, vor dem ewigen Tode, an diesem schrecklichen Tag …
Mit diesen Worten verschied er in der Morgendämmerung in Alexanders Armen. Still beweinte der Knabe seinen Freund und Mentor, der ihm geholfen hatte, ein wenig Achtung vor sich selbst zurückzugewinnen. Würde er ihn enttäuschen?
Er betrachtete den Leichenhaufen, auf dem jetzt auch der Priester ruhte. Man hatte ihm sein schmutziges Hemd ausgezogen, und nun lag er nackt da, auf dem Rücken, so dass sein erschreckend magerer Körper auf schamlose Weise den Blicken aller ausgeliefert war. Aber niemand, abgesehen von Alexander, schenkte dem neuen Toten Aufmerksamkeit, derart war der Tod zum Alltag geworden.
Der Jüngling überlegte lange, was er tun sollte. So verging langsam der Tag. Beim leisesten Geräusch von der anderen Seite der Tür begann sein Herz wild zu pochen, und er legte die Hand darauf, um sich zu beruhigen. Wenn er blieb, war er unentrinnbar zum Tode verurteilt. Aber der von Ungeziefer wimmelnde Leichenberg war derart abstoßend … Und außerdem, wenn man ihn entdeckte, würde man ihn sicherlich foltern oder totschlagen wie den armen MacKay.
Der Abend tauchte die Zelle in eine tiefe Dunkelheit, die seine trübe Stimmung nicht linderte. Dies würde die erste Nacht ohne den Priester sein. Alexander konnte nicht schlafen, denn die Worte des Alten ließen ihm keine Ruhe. Er hoffte, O’Shea werde kommen, ihn an seinen warmen Körper drücken, ihm sagen, dass er nur einen Albtraum gehabt habe. Aber nichts davon geschah. Er musste allein mit seinen Dämonen kämpfen.
Die Bettler kamen am nächsten Morgen, bei Tagesanbruch. Im Korridor erklangen ihr Murren und die schweren Schritte der Soldaten, die sie begleiteten. Dann das metallische Klirren der Schlüssel … Alexanders Herz begann heftig zu pochen. Er sah O’Sheas blassen, im Tod erstarrten Körper an und schluckte. Panik bemächtigte sich seiner. Er musste sich jetzt sofort entscheiden.
Mut bedeutet, sich seinen Ängsten zu stellen, Alas, glaubte er die Stimme seines Vaters zu hören. Er schob sich auf die mageren, zitternden Beine, zögerte aber noch. Die Schritte kamen näher. Atme die Freiheit … um meinetwillen … , ermutigte ihn die Stimme des Priesters. Er schluckte ein letztes Mal und kroch auf allen vieren in die Mitte des
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