Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
einzuwerfen.
»Die Leute würden nie eine englische Herrschaft akzeptieren …«
Étienne wies anklagend mit dem Finger auf sie, und ein vages Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
»Wenn du dich ein wenig in deiner Umgebung umsehen würdest, statt dich nur um deinen Glitzertand und deinen Hofstaat von Angebern zu kümmern, dann wüsstest du, wovon wir reden, Isabelle. Aber du siehst ja nur deine Bälle und Picknicks, wo du mit deinen Freunden große Ess- und Trinkgelage abhältst, während die einfachen Leute auf dem Grunde eines leeren Pökelfasses nach ihrem Essen suchen müssen! Wo warst du denn, als die Frauen mit ihren hungrigen Kindern auf dem Arm vor dem Schloss des Gouverneurs protestiert haben? Wahrscheinlich hast du im Salon der schönen Madame Beaubassin gesessen und dich mit Süßigkeiten vollgestopft.«
»Und Ihr sagt, dass es Euch gleichgültig wäre, wenn Ihr dem König der Engländer dienen müsstet!«
»Ganz und gar nicht. Du hast überhaupt nichts begriffen, arme Isa. Hast du dich schon einmal gefragt, warum es Bigot, Vaudreuil, Montcalm und sogar deinem teuren des Méloizes nie an Brot mangelt, während man die Rationen der Einwohner und erst recht des einfachen Soldaten immer weiter heruntersetzt?«
»Intendant Bigot isst Pferdefleisch wie alle anderen! Auf dem Tisch von Madame Péan stand …«
»Ich habe jetzt genug gehört!«, schrie mit einem Mal Justine, die kreidebleich geworden war, und stand auf. »Von Euren lästerlichen Reden dreht sich mir der Kopf. Ihr solltet Euch schämen, an den Absichten unseres guten Königs und unseres Intendanten zu zweifeln. Der liebe Monsieur Bigot tut alles Menschenmögliche, um dieses Land aus seiner misslichen Lage zu führen! Wir sind treue Untertanen von König Louis, und wir müssen ihm vertrauen.«
Charles-Hubert, der ebenfalls blass geworden war, leerte sein Glas, wobei er es geflissentlich vermied, seine ältesten Söhne anzusehen. Justine trank ihr Glas mit einem Zug aus. Dann verließ sie mit einem knappen Gruß den Raum. Françoise, die all dieser Reden müde war, zuckte die Achseln und ging wieder in die Küche, gefolgt von den Kindern und von Perrine. Isabelle biss sich auf die Lippen und unterdrückte ein Schluchzen. Nun hatten ihre Brüder es doch noch fertiggebracht, ihr Fest zu verderben. Louis stützte den Kopf in eine Hand. Guillaume und Ti’Paul sagten kein Wort. Sie waren viel zu froh darüber, dass man sie nicht aus dem Zimmer schickte. Étienne ließ mit unterdrücktem Zorn seinen Branntwein im Glas kreisen. Charles-Hubert krümmte sich unter der Last seiner Schuldgefühle.
Die Anspielungen seiner Söhne auf den Lebensstil der »guten Gesellschaft« versetzten ihn in Wut. Wie konnten sie unter seinem eigenen Dach und vor allem in Gegenwart seiner Frau so reden? Besaß Louis nicht eine gut gehende Bäckerei in der Unterstadt? Und Étienne war ein wohlhabender Pelzhändler, der bei den Indianern Felle einhandelte, um sie zu verkaufen. Und wem hatten sie das zu verdanken? Natürlich ihm, Charles-Hubert Lacroix! Gewiss, seine Methoden waren nicht immer ganz ehrlich, aber er hatte noch nie jemandem geschadet, zumindest nicht wissentlich. Er hatte nur einige vorteilhafte Transaktionen vorgenommen, ein paar gute Geldanlagen … Profitierten sie nicht alle davon? Hatte die Ökonomie der Kolonie nicht in den letzten Jahren Fortschritte gemacht?
Charles-Hubert war weder taub noch ein Narr. Er wusste, was man hinter seinem Rücken erzählte, nämlich, dass er zu »Bigots Clique« gehörte. Doch die Kolonie brauchte Geschäftsleute, die kein Risiko scheuten, um neue Märkte zu erschließen, durch die sich die Wirtschaft der Kolonie entwickeln konnte. Verstanden sie das denn nicht? War es nicht normal und akzeptabel, dass diese Menschen daraus kleine finanzielle Vorteile zogen?
Doch er wagte es nicht, aufzustehen und seine Interessen zu verteidigen. Etwas hielt ihn zurück; dieses Schuldgefühl, das wuchs und ihn umtrieb. Es stimmte ja, dass das Volk hungerte, und natürlich mussten die Soldaten Pferdefleisch essen, wenn sie nicht hängen wollten, während er einen Bauern aus Sillery dafür bezahlte, dass er Schweine und Rinder für ihn mästete. Justine verabscheute Pferdefleisch. Ich würde meinen Hund und meine Katze nicht essen, und dasselbe gilt für mein Pferd! Wie immer hatte er ihr zu Gefallen sein wollen … Aber je länger das alles so ging, umso schwerer drückte ihn das Gewissen.
War es nicht gut und richtig, seine
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