Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
einen mordlustigen Blick zu. Sie hasste es, wenn er sie »Stiefmutter« nannte, und wusste ganz genau, dass der junge Mann sie mit dieser Anrede nur provozieren wollte.
»Wenn Frankreich uns nicht mehr ernst nimmt, wird unser Land bald nicht mehr französisch sein«, erklärte Louis hart. »Unsere Armee ist völlig heruntergekommen. Fahnenflucht und Insubordination sind an der Tagesordnung. Wir brauchen unbedingt gut ausgebildete Soldaten. Aber Frankreich weigert sich aus lauter Geiz, uns welche zu schicken.«
»Lasst uns doch die Antwort des Königs abwarten. Vaudreuils Emissäre sind zurückgekehrt und werden uns bald mitteilen, wie sie lautet. Man soll das Fell des Bären nicht aufteilen, ehe man ihn erlegt hat.«
Isabelle senkte den Kopf. Sie konnte nicht glauben, dass sie eines Tages unter englischer Herrschaft würden leben müssen. Nicolas hatte mit ihr nie offen über die Bedrohung gesprochen, die über ihnen hing, sondern sie nur beruhigt und ihr erklärt, der Krieg spiele sich in erster Linie in Europa ab, und Frankreich fürchte nicht wirklich um seine amerikanische Kolonie.
Die junge Frau dachte an jenen wunderbaren Abend bei Intendant Bigot zurück. Lange hatte Nicolas mit einigen anderen Offizieren über das Schicksal der Kolonie diskutiert. Isabelle, die sich mehr für die Musik und das Tanzen interessierte, hatte nur mit halbem Ohr zugehört und die Worte ihres Verehrers nicht ernst genommen. Sicher, sie wusste, dass die Engländer befestigte Vorposten im Gebiet der großen Seen und in Ohio angriffen, und dass sie die schöne Fahne mit den Lilien mit Füßen traten. Indes …
Im letzten Sommer war der Posten Frontenac gefallen. Dann hatte man kurz vor dem Eintreffen des Feindes Fort Duquesne aufgegeben und sich nach Niagara zurückgezogen. Aber hatte Montcalm nicht vor Carrillon die Angreifer ruhmreich zurückgeschlagen? Nur wenige Tage vor der Einnahme von Louisbourg war das gewesen; Nicolas hatte sich in dieser Schlacht besonders hervorgetan. Sollte dies ihr letzter Sieg gewesen sein? Seitdem hatten sich die Engländer, nachdem sie einige Dörfer an der Küste vor Gaspé zerstört hatten, relativ ruhig verhalten. Doch jetzt war der Winter vorüber und der Fluss wieder schiffbar, so dass der Weg für die Angreifer frei war. Würde Québec ihr nächstes Ziel sein?
»Diese Ketzer werden bestimmt nicht wagen, die Bewohner von Neufrankreich in ihre Kolonien im Süden zu deportieren, so wie sie es mit uns gemacht haben«, sagte Perrine, die soeben eine dampfende Teekanne auf den Tisch gestellt hatte, ernst.
»Wer will das schon wissen?«
»So etwas würden sie nicht noch einmal tun!«, rief Isabelle empört.
Die Dienstmagd hatte der jungen Frau von ihren schrecklichen Erlebnissen bei der Deportation Tausender Bewohner von Akadien erzählt. Ihr war zusammen mit einigen anderen die Flucht gelungen… aber zu welchem Preis! Ihr Vater, ihre Mutter und ihre Geschwister waren überall über die englischen Kolonien verstreut. Sie würde sie bestimmt nie wiedersehen. Einige Engländer hatten eingesehen, dass sie einen Fehler begangen hatten. Das hatte sie jedoch nicht daran gehindert, nach dem Fall von Louisbourg die dort lebenden Kolonisten nach Frankreich zu verbannen. Wollte sie für immer in Frankreich leben? Isabelle lief ein Schauer über den Rücken. Wie naiv sie gewesen war! Louis’ Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
»… angesichts der Hungersnot, die schon so lange herrscht, könnten die Kanadier einen Vorteil darin sehen, die Seiten zu wechseln. Hunger ist kein guter Ratgeber. Viele denken inzwischen, dass es kein großes Unglück wäre, ein Joch gegen das andere einzutauschen …«
»Louis Lacroix!«, rief Justine aus. »Wie könnt Ihr wagen, so etwas zu sagen?«
»Ich gebe nur wieder, was ich gehört habe. Die Menschen haben Hunger. Sie wollen in Frieden leben. In diesem Land herrscht Krieg, seit es überhaupt existiert! Die Bevölkerung hat genug davon. Es heißt, unter den Engländern hätte man es weniger schwer. Sollen die Männer mit einer Ration aus Pferdefleisch und einem halben Pfund Brot pro Tag kämpfen und zusätzlich noch ihre Felder bestellen? Beides zugleich können sie ja wohl nicht. Also müssen die Felder warten, und die Hungersnot geht weiter.«
»Also, ich finde unsere Soldaten sehr schön«, wagte die kleine Anne leise zu sagen und errötete.
Françoise sah sie drohend an. Isabelle schenkte sich eine Tasse Tee ein und riskierte es, ebenfalls eine Meinung
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