Highland-Saga 03 - Schild und Harfe
Familie glücklich zu machen? Als Bigot die meisten Mühlen hatte schließen lassen, damit die Bevölkerung weniger Weizen verbrauchte, da hatte er dafür gesorgt, dass die Mühle seines Neffen Pierre Bission weiterarbeiten konnte. Daher stammte das Brot, das sie heute Abend an diesem Tisch gegessen hatten. Bei dem letzten Gedanken verflogen seine Schuldgefühle, und er kehrte reumütig auf den Weg zurück, auf dem er wandelte, seit er sich mit Justine Lahaye vermählt hatte.
»Ihr werdet mir keine Vorhaltungen machen, verstanden? Alles, was ich getan habe, habe ich für euch und eure Mutter getan. Ihr müsst doch verstehen …«
»Sie ist nicht unsere Mutter! Was ich verstehe, ist, dass diese Xanthippe Euch auf kleinem Feuer weichkocht. Aber das Volk spricht von Aufstand, begreift Ihr nicht? Wir müssen ein Beispiel geben. Jedermann ist überzeugt davon, dass die Herrschenden die Hungersnot mit Absicht ausgelöst haben, um sich die Taschen zu füllen. Es heißt, dass Gott uns durch die Missernten für das bestrafen will, was hinter den Mauern des Palasts des Intendanten vor sich geht… Denkt darüber nach, Papa.«
Dann wandte Étienne sich an seine Schwester.
»Es tut mir sehr leid, Isabelle. Aber ich will nicht, dass man von mir sagt, auch ich zöge meinen Vorteil aus Bigots Großzügigkeit. Ich gehe jetzt zu Gauvain und treffe mich mit LeNoir und Julien. Trotzdem noch einen schönen Geburtstag.«
Mit diesen Worten ging er hinaus. Erneut senkte sich Schweigen über den Tisch. Guillaume kippelte auf seinem Stuhl, dass er knarrte, was Isabelle außer sich brachte. Die junge Frau biss die Zähne zusammen. Étienne war wirklich das schwarze Schaf der Familie! Immer brachte er es fertig, bei Familientreffen Zwietracht zu säen. Er hatte die Lebensweise der Eingeborenen angenommen, trug Pelzkleidung, die entsetzlich stank, und hatte absolut keine Manieren. Und außerdem hatte sie heute entdeckt, dass er vierzehnjährige Mädchen verführte! Wie gut, dass Louis mehr Verstand hatte. Er mochte Justine nicht mehr als Étienne, aber er konnte zumindest den Mund halten. Isabelle vermochte ihr Schluchzen nicht länger zu unterdrücken, und so lief sie in ihr Zimmer, wo sie sich einschloss und ihren ganzen Kummer herausweinte.
Im Haus war jetzt alles still. Isabelle schlug die Augen auf: Sie war von Finsternis umgeben. Sie spitzte die Ohren: nichts. Waren etwa alle fort? Sie stand auf und tastete nach dem Kerzenleuchter. Auf leisen Sohlen ging sie dann in den Salon hinunter. Es war dunkel. Eine einzige Kerze warf ein schwaches Licht auf eine Ecke des Raums, wo Sidonie leise schnarchte. Ihre Strickarbeit war zu ihren Füßen auf den Boden gefallen. Charles-Hubert saß in seinem Lieblingssessel vor dem Kamin. Sonst war niemand da.
Die junge Frau betrachtete ihren Vater eingehend: Sein vorstehender Bauch hob und senkte sich langsam im Rhythmus seines Atems. Sie lachte oft über diese Wölbung und behauptete, dass er einen so dicken Bauch habe, läge ganz einfach daran, dass er ein so großes Herz unterzubringen habe. Ja, sein Herz war so groß wie das ganze Land. Zu groß vielleicht. Seine Frau war derart anspruchsvoll. Und sie, seine Tochter, liebte er so sehr, dass er ihr nichts abschlagen konnte. Er hatte sie bemerkt und wandte sich ihr zu.
»Isabelle? Bist du das, mein Schatz?«
Sie trat aus dem Dunkel.
»Ja, Papa.«
Er streckte ihr einen Arm entgegen und bedeutete ihr, näher zu kommen.
»Ah! Mein kleines Mädchen … was für ein Durcheinander.«
»Seid nicht traurig, Papa. Étienne ist nun einmal so, wie er ist. Wir können nichts dagegen tun.«
»Ich weiß… ich weiß. Dieser Junge ist so starrköpfig. Was für ein Unglück! Und dabei habe ich es wirklich versucht. Ich habe ihm eine Stellung im Familiengeschäft angeboten, aber er hat es mir abgeschlagen. Ich verstehe ihn nicht. Da läuft er lieber mit einem Haufen Wilder durch die Wälder … Manchmal frage ich mich …«
»Hört auf, Euch deswegen zu quälen. Étienne besitzt nun einmal ein aufbrausendes Temperament und legt Wert auf seine Freiheit. Hier könnte ihn nichts halten. Nicht einmal eine Frau.«
Charles-Hubert schwieg. Étienne hatte nie geheiratet. Doch eine Zeitlang hatte er geglaubt, er sei verliebt. Aber die Frau – das hatte er von Justine erfahren – war gestorben. Wie war noch ihr Name gewesen? Es fiel ihm nicht ein. Aber Isabelle hatte recht: Man konnte Étienne nicht ändern. Ein Glück, dass der junge Mann sich wenigstens
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