Highland-Saga 04 - Dolch und Lilie
ein Mal, mein Gatte. Ihr werdet mich noch zur Sünde der Eitelkeit verführen.«
»Und zu anderen.« »Habe ich denn noch andere Laster?«
Sie schlang die Arme um seinen Hals und kicherte leise.
»Oh ja«, gab er zurück. »Naschhaftigkeit, Lüsternheit …«
»Hmmm …«, meinte sie mit einem leisen, schmachtenden Lächeln. »Da sind nur die Gürkchen mit Konfitüre schuld.«
»Vor allem die Konfitüre!«
Er liebkoste ihren Nacken, und sie erschauerte. Ihre Lippen trafen sich, während das Wasser des Saint-Laurent ihre Knöchel umspielte und sie in diesem Land verwurzelte, das einst den Traum der wagemutigen Franzosen verkörpert hatte und dessen sich anschließend die englischen Krämerseelen bemächtigt hatten. Für diese beiden würde diese hoffnungsvolle neue Welt – ob sie nun Neu-Frankreich, Kanada oder Québec hieß – immer das Land bleiben, in dem ihre Kinder geboren waren und in dem sie mit ihren Träumen aufwachsen würden.
Bei diesem Gedanken umarmte Alexander Isabelle leidenschaftlich. In diesem Moment tiefen Glücks sah er die heiteren Züge seiner Großmutter Caitlin vor sich und vernahm erneut ihre Worte: Per mare, per terras, ne obliviscaris; über Meere und Länder sollst du nicht vergessen, wer du bist.
Wie Vieh, das man zur Schlachtbank führt, hatten die Engländer die Männer seines Volkes auf Schiffe getrieben, die in ferne Lande fuhren, damit sie ihre Schreie nicht hörten, wenn sie von feindlichen Bajonetten durchbohrt wurden. Als der Krieg zu Ende war und man die Armeen demobilisiert hatte, waren die Überlebenden in ihre Heimat zurückgekehrt. Aber welchen Empfang hatte man den tapferen Kriegern bereitet! Kaum waren sie in ihre angestammten Täler heimgekehrt, hatte das Elend sie schon wieder vertrieben. Im Namen des Fortschritts hatte man ihnen ihre Würde genommen und sie in die düsteren Fabriken von Glasgow oder an die Küsten getrieben. Die letzten Spuren eines Volkes verwehten. In den berühmten Bergen würde bald nur noch Stille herrschen, in der die einsamen Geister der großen Fiann-Krieger 60 umgingen und das Echo der letzten Schlacht von Culloden widerhallte.
Culloden … Falkirk, Prestonpans, Sheriffmuir, Killiecrankie, Flodden, Bannockburn, Stirling Bridge … Schlachten, die die schottische Geschichte durchzogen und im Namen der Unabhängigkeit Tausenden von Männern das Leben gekostet hatten. Doch was würde am Ende, wenn die letzten Töne der Dudelsäcke verklungen waren, wenn sich der letzte Pulverdampf verzog und ein Schlachtfeld voll verkohlter, von Kugeln durchsiebter Leichen enthüllte, in der Erinnerung der Welt davon übrig bleiben? Wer würde sich an die Namen der Krieger erinnern?
Nein… Die Niederlage von Culloden war nicht das Ende des Traums eines Volkes. Die Freiheit konnte so viele Gestalten annehmen. Schottland war nur das Stück Erde, das die Highlander hervorgebracht hatte und wo er, Alexander, geboren war. Es lebte auch und vor allem in der Seele eines Volkes, in seiner Sprache und seinen Traditionen. Seinem Geist. Die einzige Freiheit des Menschen liegt in seinem Geist. Kein Gesetz, keine Drohung, keine Ketten können ihn bezwingen , hatte seine Großmutter gesagt. Das galt auch für das schottische Volk.
Caitlin Dunn Macdonald hatte recht gehabt: Du trägst das Erbe deines Volkes in dir, hatte sie ihm vor langer Zeit erklärt . Es ist deine Aufgabe, es zu bewahren, es weiterzugeben, um unsere Traditionen zu erhalten. In gewisser Weise vertraue ich dir eine Mission an, Alasdair … Dir vertraue ich die Aufgabe an, meinen Traum zu verwirklichen. Die kleine alte Frau war sich bewusst gewesen, wer und was sie waren, und diese mächtige Waffe hatte sie ihm in die Hand gegeben und von ihm erwartet, dass er sie führte.
Isabelle löste sich ein wenig von Alexander und schaute zu ihm auf. Ihre grünen, goldgesprenkelten Augen, die ihn an seine schottischen Hügel erinnerten, blickten in seine blauen, die sie an die französische Fahne denken ließen. Die sanfte Brise umfloss die beiden mit ihrer Wärme und spielte mit ihrem Haar.
»Ich liebe dich«, sagte er mit unendlicher Zärtlichkeit.
»I love you «, flüsterte sie zurück.
Eng umschlungen standen sie da, Distel und Lilie, die sich miteinander verflochten, friedlich, wie eine einsame Insel in den majestätischen Wassern des Saint-Laurent.
Ihre Kinder würden Schottland oder Frankreich wahrscheinlich niemals sehen. Doch sie würden wissen, woher das Blut stammte, das in ihren Adern
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