Highland-Saga Bd. 7 - Echo der Hoffnung
sagte Jem beiläufig. »Darum sind wir hergekommen.«
»Oh?«, sagte sie verblüfft. »Und warum kann man hier besonders gut mit ihm sprechen?«
Jem sah überrascht aus und richtete die Augen auf die verwitterten, wackeligen Steine des Friedhofs.
»Ist er denn nicht hier?«
Etwas, das viel zu überwältigend war, um es als Schauder zu bezeichnen, fuhr ihr über den Rücken. Es war weniger Jems nüchterne Art als vielmehr die Möglichkeit, dass es stimmen könnte, die ihr den Atem nahm.
»Ich – ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich denke, es könnte sein.« Sie versuchte zwar, nicht allzu oft darüber nachzudenken, dass ihre Eltern inzwischen tot waren, doch irgendwie hatte sie stets vage angenommen, dass sie in North Carolina begraben lagen – oder irgendwo anders in den Kolonien, wenn der Krieg sie aus Fraser’s Ridge vertrieben hatte.
Doch plötzlich fielen ihr die Briefe ein. Er hatte gesagt, dass er vorhatte, nach Schottland zurückzukehren. Und da Jamie Fraser ein entschlossener Mensch war, hatte er dies mehr als wahrscheinlich auch getan. War er nie wieder fortgegangen? Und wenn nicht – war ihre Mutter ebenfalls hier?
Ohne es eigentlich zu wollen, fand sie sich auf dem Weg nach oben wieder, vorbei am Fuß des alten Turms und zwischen den Steinen des Friedhofs hindurch. Sie war erst einmal hier gewesen, mit ihrer Tante Jenny. Es war früh am Abend gewesen, ein Windhauch hatte im Gras geflüstert, und Friede hatte über dem Hügel gelegen. Jenny hatte ihr die Gräber ihrer Eltern gezeigt, Brian und Ellen, die gemeinsam unter einem Ehestein lagen; ja, sie konnte die Rundung des Steins noch erkennen, auch wenn er zugewuchert und mit Moos bewachsen war und die Namen verwittert waren. Und das Kind, das gemeinsam mit Ellen gestorben war, war ebenso mit ihr beerdigt worden – ihr dritter Sohn, Robert, hatte Jenny gesagt; ihr Vater hatte darauf bestanden, dass das Kind getauft wurde, und der Name ihres kleinen Bruders war Robert.
Sie stand jetzt mitten zwischen den Steinen; es waren so viele. Etliche der späteren Steine waren noch lesbar, sie trugen Daten aus dem späten neunzehnten Jahrhundert. Zum Großteil Murrays und McLachlans und McLeans. Hier und da ein Fraser oder MacKenzie.
Doch die älteren Steine waren alle zu verwittert, um die Schrift darauf entziffern zu können. Unter den schwarzen Flechten und dem weichen Moos zeichneten sich lediglich die Schatten der Buchstaben ab. Da, neben Ellens Grab, lag der winzige quadratische Stein von Caitlin Maisri Murray, Jennys und Ians sechstem Kind, das nur einen Tag alt geworden war. Jenny hatte Brianna den Stein gezeigt und sich gebückt, um sanft mit der Hand über die Buchstaben zu fahren und eine gelbe Rose vom Wegrand daraufzulegen. Außerdem hatte ein kleines Steinhäufchen daraufgelegen – Kieselsteine, die die Besucher des Grabes dort hingelegt hatten. Das Häufchen war zwar längst verstreut, doch Brianna bückte sich und suchte einen Kieselstein, den sie auf den kleinen Stein legte.
Sie sah, dass es daneben noch einen anderen gab. Noch einen kleinen Stein
wie für ein Kind. Nicht ganz so verwittert, aber eindeutig fast genauso alt. Es standen nur zwei Worte darauf, dachte sie und schloss die Augen, um langsam mit dem Finger über den Stein zu fahren und die flachen, unterbrochenen Linien abzutasten. In der ersten Zeile war ein »E«. Ein »Y«, dachte sie, in der zweiten. Und vielleicht ein »K«.
Was für ein Highland-Name fängt denn mit »Y« an?, dachte sie verwundert. McKay vielleicht, aber da stimmt die Reihenfolge nicht …
»Du – äh – weißt nicht vielleicht, welches Opas Grab sein könnte, oder?«, fragte sie Jem zögernd. Sie fürchtete sich beinahe vor der Antwort.
»Nein.« Er sah überrascht aus und folgte ihrer Blickrichtung zu der Ansammlung von Steinen. Offensichtlich hatte er diese nicht mit seinem Großvater in Verbindung gebracht. »Er hat nur gesagt, dass er gern hier begraben werden möchte, und wenn ich herkäme, sollte ich ihm ein Steinchen hinlegen. Und das hab ich getan.« Sein Akzent nahm ganz natürlich eine schottische Färbung an, und wieder hörte sie die Stimme ihres Vaters, deutlich, doch diesmal lächelte sie schwach.
»Wo denn?«
»Da oben. Er ist gern hoch oben, weißt du? Wo er weit sehen kann«, sagte Jem beiläufig und zeigte bergauf. Just hinter dem Schatten des Turms konnte sie erkennen, wie sich die Spur eines angedeuteten Pfades durch das Durcheinander aus Ginster, Heide und Felsbrocken
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