Highland-Saga Bd. 7 - Echo der Hoffnung
und frisst Mandy, wenn ich es tue.«
»Oh.« Sie legte den Arm um ihn und zog ihn an sich. »Ich verstehe. Hab keine Angst, Schatz. Ist schon gut.« Er zitterte jetzt, mindestens so sehr vor Erleichterung wie aus Angst vor seiner Erinnerung, und sie strich ihm über das helle Haar, um ihn zu beruhigen. Ein Landstreicher wahrscheinlich. Hatte er im Turm übernachtet? Vermutlich war er ja inzwischen fort – soweit sie es nach Jems Erzählung sagen konnte, war es über eine Woche her, dass er den Mann gesehen hatte – aber...
»Jem«, sagte sie langsam. »Warum bist du heute mit Mandy auf den Hügel gegangen? Hast du keine Angst gehabt, dass der Mann dort sein könnte?«
Er blickte überrascht zu ihr auf und schüttelte den Kopf, sodass seine roten Haare hin und her flogen.
»Nein, ich bin zwar abgehauen, aber ich habe mich versteckt und ihn beobachtet. Er ist nach Westen gegangen. Da lebt er nämlich.«
»Hat er das gesagt?«
»Nein. Aber solche Wesen leben immer im Westen.« Er zeigte auf das Buch. »Wenn sie nach Westen gehen, kommen sie nicht zurück. Und ich habe ihn nicht mehr gesehen; ich habe ihn extra beobachtet, um sicher zu sein.«
Fast hätte sie gelacht, doch sie war immer noch zu besorgt. Es stimmte; viele Highlandsagen endeten damit, dass ein übernatürliches Wesen gen Westen zog oder in die Berge oder das Gewässer, in dem es lebte. Und natürlich kam es nicht zurück, da die Geschichte ja zu Ende war.
»Er war nur ein böser Landstreicher«, sagte sie entschlossen und tätschelte Jem den Rücken, bevor sie ihn losließ. »Mach dir seinetwegen keine Sorgen.«
»Bestimmt?«, sagte er. Offensichtlich hätte er ihr gern geglaubt, war aber noch nicht ganz bereit, sich in Sicherheit zu wiegen.
»Bestimmt«, sagte sie.
»Okay.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus und trat einen Schritt zurück. »Außerdem«, fügte er hinzu und sah jetzt schon fröhlicher aus, »außerdem würde Opa nicht zulassen, dass er Mandy oder mich frisst. Daran hätte ich denken können.«
DIE SONNE GING SCHON FAST UNTER, ALS SIE ROGERS AUTO ÜBER DEN WIRTSCHAFTSWEG tuckern hörte. Sie lief ins Freie, und er war noch nicht ganz ausgestiegen, als sie sich auch schon in seine Arme warf.
Er verlor keine Zeit mit Fragen. Er umarmte sie leidenschaftlich und küsste sie auf eine Weise, die keinen Zweifel daran ließ, dass ihr Streit beendet war; die Einzelheiten ihrer jeweiligen Entschuldigungen konnten warten. Einen Moment lang gestattete sie es sich, alles zu vergessen, sich in seinen Armen gewichtslos zu fühlen, den Geruch von Benzin, Staub und Bibliotheken voller alter Bücher einzuatmen, der seinen natürlichen Geruch überlagerte, diesen undefinierbaren schwachen Moschus sonnengewärmter Haut, selbst wenn er gar nicht in der Sonne gewesen war.
»Es heißt eigentlich, Frauen können ihre Männer nicht am Geruch erkennen«, sagte sie, während sie widerstrebend zur Erde zurückkehrte. »Ich glaube das nicht. Ich könnte dich im Stockfinsteren in der U-Bahn-Station am King’s Cross ausmachen.«
»Ich habe heute Morgen gebadet, aye?«
»Ja, und du hast im College übernachtet, weil ich diese schreckliche Industrieseife riechen kann, die sie da benutzen«, sagte sie und rümpfte die Nase. »Ich bin überrascht, dass sie einem nicht die Haut abzieht. Und du hast Black Pudding zum Frühstück gegessen. Mit einer gebratenen Tomate.«
»Kommen wir zu dir, mein Schatz«, sagte er lächelnd. »Hast du ebenfalls einen spannenden Tag gehabt?«
»Tja. Eigentlich schon.« Sie blickte zum Hügel hinter dem Haus hinauf, wo der Schatten des Turms jetzt lang und schwarz geworden war. »Aber ich dachte, ich warte lieber auf die Kavallerie, bevor ich es übertreibe.«
MIT EINEM STABILEN WANDER STOCK AUS SCHLEHDORN UND EINER TASCHENLAMPE gewappnet, näherte sich Roger dem Turm, wütend, aber vorsichtig. Es war zwar nicht sehr wahrscheinlich, dass der Mann bewaffnet war, wenn er
denn noch da war, doch Brianna stand an der Küchentür, das Telefon – dessen lange Schnur sie bis auf den letzten Zentimeter ausgezogen hatte – neben sich, die ersten beiden Ziffern des Notrufs schon gewählt. Sie hatte mitkommen wollen, doch er hatte sie überzeugt, dass einer von ihnen bei den Kindern bleiben musste. Dennoch wäre es beruhigend gewesen, sie in seinem Rücken zu haben; sie war eine hochgewachsene, muskulöse Frau, die vor körperlicher Gewalt nicht zurückschrak.
Die Tür des Turms hing schief; die alten Lederscharniere waren
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