Highland-Saga Bd. 7 - Echo der Hoffnung
»(Feuer??)« hinzu, schrieb aber nichts darunter. Jetzt nicht; später.
Um sich zu beruhigen richtete er den Blick auf das Bücherregal, wo der Brief lag, beschwert mit einer kleinen Schlange, die aus Kirschbaumholz geschnitzt war. Wir sind am Leben …
Plötzlich wäre er am liebsten aufgestanden und hätte die Holzkiste geholt, um die anderen Briefe herauszuholen, sie aufzureißen und zu lesen. Neugier, gewiss, aber es steckte mehr dahinter – der Wunsch, sie zu berühren, Claire und Jamie, den Beweis ihrer Existenz an sein Gesicht zu drücken, an sein Herz, den Raum und die Zeit zwischen ihnen auszulöschen.
Doch er unterdrückte den Impuls. Sie hatten eine Entscheidung gefällt – oder eher, Brianna hatte es getan, und es waren ihre Eltern.
»Ich möchte sie nicht alle auf einmal lesen«, hatte sie gesagt und den Inhalt der Kiste sanft durch ihre langen Finger gleiten lassen. »Es ist … es ist so, als wären sie … wirklich fort, wenn ich sie alle gelesen habe.«
Er hatte sie verstanden. Solange wenigstens ein Brief ungelesen blieb, lebten sie. Trotz seiner Historikerneugier teilte er dieses Gefühl. Außerdem …
Briannas Eltern hatten diese Briefe ja nicht als Tagebucheinträge geschrieben, die möglicherweise für die Augen einer wenig konkreten Nachwelt bestimmt
waren. Sie waren ausdrücklich zum Zweck der Kommunikation verfasst worden – mit Brianna, mit ihm. Was bedeutete, dass es gut möglich war, dass sie bestürzende Neuigkeiten enthielten; seine Schwiegereltern hatten beide ein Talent für solche Enthüllungen.
Dennoch erhob er sich, nahm den Brief vom Regal und las das Postskriptum noch einmal durch, nur, um sich zu vergewissern, dass er es sich nicht eingebildet hatte.
Es war nicht so. Mit dem leisen Echo des Wortes »Blut« in den Ohren setzte er sich wieder hin. »Ein gewisser Italiener.« Das war Charles Stuart; es konnte niemand anders sein. Himmel. Nachdem er eine Weile ins Leere gestarrt hatte – Mandy hatte jetzt angefangen, »Jingle Bells« zu singen -, schüttelte er sich, blätterte ein paar Seiten weiter und machte sich hartnäckig wieder ans Werk.
II. Moralisches
A. Gewaltsame Todesfälle
Natürlich gehen wir davon aus, dass es nicht in Frage kommt, einen Menschen umzubringen, wenn es nicht in Notwehr, zum Schutz eines anderen oder im Krieg geschieht.
Er betrachtete diese Zeilen einen Moment, murmelte »aufgeblasener Esel«, riss die Seite aus dem Notizbuch und zerknüllte sie.
»Dschingi Bells, Gockenkang, Wobin legt einei!«, trällerte Mandy, doch er beachtete sie nicht, sondern griff nach dem Buch und stampfte durch den Flur zu Briannas Studierzimmer hinüber.
»Wer bin ich eigentlich, dass ich hier Moralpredigten halte?«, wollte er wissen. Sie blickte von einem Blatt auf, das eine in ihre Einzelteile zerlegte hydroelektrische Turbine zeigte, und ihre ausdruckslose Miene signalisierte ihm, dass ihr zwar bewusst war, dass man mit ihr redete, dass sie ihren Verstand aber noch nicht hinreichend vom Gegenstand ihrer Betrachtungen gelöst hatte, um zu begreifen, wer mit ihr sprach oder was er sagte. Da ihm dieses Phänomen vertraut war, wartete er geduldig, bis sich ihr Kopf von der Turbine gelöst und auf ihn konzentriert hatte.
»… Predigten …?«, sagte sie stirnrunzelnd. Sie kniff die Augen zu, dann wurde ihr Blick scharf. »Wem denn?«
»Na ja …« Plötzlich verlegen hob er das vollgekritzelte Notizbuch hoch. »Den Kindern sozusagen.«
»Du musst deinen Kindern Moralpredigten halten«, erwiderte sie in aller Logik. »Du bist ihr Vater; es ist deine Aufgabe.«
»Oh«, sagte er, völlig aus dem Konzept gebracht. »Aber – ich habe doch selbst viele von den Dingen getan, die ich ihnen hier verbiete.« Blut. Ja, vielleicht hatte es eine schützende Funktion. Vielleicht aber auch nicht.
Sie betrachtete ihn mit hochgezogener Augenbraue.
»Hast du noch nie von gut gemeinter Heuchelei gehört? Ich dachte, so etwas bringen sie euch in der Predigerschule bei. Wo du schon von Moralpredigten sprichst. Die Aufgabe eines Geistlichen ist es doch ebenfalls, oder?«
Ihre blauen Augen musterten ihn abwartend. Er holte sehr tief Luft. Brianna, so dachte er trocken, machte wirklich nicht viel Federlesens. Seit ihrer Rückkehr hatte sie weder seine knapp versäumte Ordination noch die Frage, was er jetzt in Bezug auf seine Berufung vorhatte, mit einem Wort erwähnt. Ein Jahr hatten sie in Amerika verbracht … Mandys Operation, der Entschluss, nach Schottland zu ziehen,
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