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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Kuhn
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Statusmeldung des Tages, wie er beinahe an einer kitschigen Karibikküste mit seinem Boot auf Korallen aufgelaufen wäre, wie er in einer Hängematte zwischen Bananenstauden schaukelt und Piña Coladas aus meterlangen Strohhalmen schlürft. Kim erwähnt er nicht, vielleicht hat er sie für ein bisschen Internet eingetauscht. Auch ihm bin ich nicht böse. Ich lasse ein Kabel durch die Hand gleiten, ziehe den Stecker und streiche über die Fensterscheibe. Sie hat ihre Glätte verloren, ist mit einer hitzebündelnden Schicht überzogen, die sich ins Innere des Kokons entlädt.
    Ich hangele mich auf meinem Bürostuhl um den Schreibtisch herum, stoße mich wie ein Schwimmer am Beckenrand von der Schreibtischkante ab und tauche ein in die Zimmertiefe. Jeder Zug verursacht ein neues Geräusch: hier ein Papierrascheln, ein Aluknistern, das Schwappen von Wasser. Da, unter dem Dreckwäscheberg, höre ich es. Ich klettere auf die Matratze, um ihm näher zu sein, und mache mit dem Mund ein Geräusch, als wolle ich ein scheues Pferd anlocken. Das Tier reagiert nicht. Seitdem es angekommen ist, ignoriert es mich.
    Live Reptile (Handling with great care) hatte jemand auf der anderen Seite der Welt auf die Holzkiste geschrieben. Mutter hatte die koffergroße Kiste bis vor meine Zimmertür geschleppt und per Zettel mit mir vereinbart, ihr für die Erhöhung meiner Wasserration die ausgeräumte Kiste für die Dekoration ihrer Ausstellungsfläche, Motto: Carribean Casual Living , zu überlassen. Wie eine Reliquie platzierte ich die Kiste auf dem Schreibtisch. Die Frühlingssonne strahlte rege durchs Fenster; es sollten noch Wochen vergehen, bis ich mich zu der absoluten Finsternis entschloss. Die Kiste war erstaunlich leicht und offensichtlich handgefertigt, kein Brett glich dem anderen, auch die Nägel, die die Bretter an einem inneren Gehäuse befestigten, hatten allesamt ganz unterschiedliche Köpfe. Münzgroße Löcher überzogen ungleichmäßig den Deckel. Die Ausdünstungen aus dem aufquellenden Kisteninnern rochen beißend nach Hasenstall und modernder Pappe.
    Das Gehäuse war mit pflanzlichen Fasern ausgestopft worden, die Inhalte zudem sorgsam umwickelt. Als einzelne Stränge waren die Fasern spröde, als Bündel erst gewannen sie an Weichheit. Sie rochen nach Urin und Unrat, in der Ferne konnte ich Reste von Kokosnuss wahrnehmen: Mutters Handcreme? Ich musste die Fenster weit aufreißen, so sehr nahm der Geruch das komplette Zimmer ein. Die Kiste selbst war durch dünne Trennwände in verschiedene Bereiche unterteilt. Zum Vorschein kamen Wärmestrahler in allerlei Größen und Farben, spiralförmige Infrarot-Glühbirnen, samuraischwertlange Leuchtstoffröhren, ein weiterer Strahler mit der Aufschrift Replux UV Heat D3 sowie zwei Plastikteile mit marmorierter Kunststoffoberfläche, die man zu einem Trog zusammenstecken konnte. Erst nachdem ich von oben nach unten alles ausgeräumt hatte, beinahe am Boden angekommen war, zeigte sich, embryonal zusammengerollt, meine eigentliche Bestellung: das drachenähnliche Reptil.
    Mit einem Stift stupste ich es an. Der Panzer war steinhart, gab keinen Zentimeter nach. Ich fegte die Faserbündel vom regungslosen Körper, drehte die Holzkiste ins Sonnenlicht: Das Reptil sieht im Grunde aus wie ein kleines Krokodil, es hat einen wuchtigen Rumpf und spitze Zähne. Der Rücken ist mit Stacheln übersät, die vom Nacken entlang des Rückgrats verlaufen. Der Nacken ist so etwas wie ein fetter Wulst, als hätte es für den strengen europäischen Winter einen Schal umgelegt bekommen. Am erstaunlichsten war damals jedoch seine Farbe: Ich hatte einen grünen Leguan geordert, aber das Tier in der Kiste war gräulich, beinahe farblos.
    Stunden vergingen, ohne dass sich irgendwas bewegte. Ich hatte keine Ahnung, was mit ihm anzufangen sei. Ob ich es reklamieren und in die Karibik zurückschicken sollte? Oder falls es überlebte: ob es überhaupt ins Terrarium passte? Ich entschied mich, das Tier erst einmal aus der Kiste zu hieven, obwohl der Gedanke nahelag, es gleich darin zu begraben. Es hatte ein anderes Schicksal verdient, es hatte von so weit her in mein Zimmer gefunden, also gebührte ihm eine besondere Beachtung. Die Sonne erhitzte seit Wochen den metallenen Sims, ein guter Ort für einen sterbenden Kaltblüter, dachte ich.
    Auf meinen Armen wog es schwer. Ich wankte mit ihm ans Fenster. Zwischen den Häusern liefen d eutschlandfahnenschwenkende Kinder neben ihren deutschlandfahnenbemalten

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