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Hikikomori

Hikikomori

Titel: Hikikomori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Kuhn
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Uh! Uh! Uh!« – unterstreicht, weil ihm nichts Besseres einfällt. Aber ich schaffe es nicht. Egal wo im Zimmer ich stehe, welche Decke ich mir noch über den Kopf ziehe, die Wände sind zu dünn.
    Was ist los mit dir?, fragt Girl No.1 , du wirkst so unkonzentriert, bin ich dir nicht mehr interessant genug?
    Doch, doch , sage ich, es ist nur sehr laut hier.
    Das Girl No.1 schaut mich verwirrt an: Außer ein paar Vögeln ist hier rein gar nichts. Sie blickt mir lange in die Augen, bis ich den Kopf wegdrehe. Irgendwas ist anders, sagt sie.
    Was ist anders?
    In deinem Gesicht fehlt was.
    Was soll in meinem Gesicht fehlen?
    Du rauchst nicht mehr. Das steht dir nicht.
    Ich möchte dem Tag meinen eigenen Rhythmus geben.
    Ich sagte nur, es steht dir nicht, wiederholt Girl No.1 . Mir ist egal, was das wieder für eine Prüfung sein soll. Es steht dir eben nicht. Sie verschränkt die Arme.
    Bevor ich mich besser erklären kann, werde ich wieder ins Zimmer zurückgerissen, Anna-Marie, wie sie einen ersten Höhepunkt vortäuscht. Fuck! , zische ich und lasse Girl No.1 verwirrt im Baumhaus zurück. Was hat das Universum nur gegen uns? Was für eine Welt ist das, die uns wie Hamster in billig montierte Boxen sperrt, in Zimmer aus Pappmaschee-Wänden? Wände, die zu nichts taugen, außer vielleicht zum Aufhängen von Flatscreens und Erinnerungsfotos, nur gerade so stabil, um das Schrecklichste, das Plumpeste, das Drängendste fernzuhalten. Ich laufe wütend zu unserer gemeinsamen Tür und schlage mit beiden Fäusten dagegen. Das Tier nickt schwer mit dem Kopf, als wäre das auch der Takt seines wütenden Herzens, den er mit jedem Nicken bejaht. Während ich Anna-Marie meinen Ekel entgegenhämmere, schwappt der ganze Mist von nebenan weiter ungefiltert zu mir herüber. »Lass dich nicht von ihm ablenken«, flüstert sie ihm geil ins Ohr. »Ich werde mich nicht ablenken lassen«, denke oder sage ich. Ich hasse diesen Typ, ich hasse alle Typen wie Kilian, der alleine seines Namens wegen einen schnittigen Anwalt abgeben wird: kompetent und hot zugleich. Ja, so einer ist er, der Kilian, der in der Sekunde kommt, in der sie die Befriedigte spielt. Mit einem pornomäßigen »Uuhh« macht er weiter und hört sich dabei an wie ein Schlauchboot, dem langsam die Luft entweicht. Ich sollte dieses Schlauchboot zerstechen.
    Aber ich gebe nicht auf. Girl No.1 wartet sehnsüchtig auf mich, wartet darauf, dass wir endlich das Geplänkel sein lassen und uns in die Schaffelle kuscheln. Ich schlage also weiter gegen die Tür und imitiere dabei Affengeräusche. Jetzt spricht sie mit mir, die Schwester, sie schreit sogar: »Verpiss dich, du Wichser!« – »Das trifft mich«, sage ich. Meine Stimme klingt, als würde ich in ein großes tönernes Gefäß hineinsprechen. – »Halt endlich mal die Fresse, du Missgeburt!« Oh ja, das finde ich schon treffender. Ich ramme den Kopf einmal fest gegen die Tür. Mir wird sofort sehr schwindlig. Das war eine dumme Idee. Da klopft es an der anderen Tür. Ich wundere mich, dass doch noch jemand da ist, der es für nötig hält, einzugreifen. »T ill«, schreit Karola. »Lass deine Schwester in Ruhe!«
    Jetzt haben sie was in der Hand. Gegen mich.
    »Lasst mich in Ruhe!«, rufe ich. Das Tier kratzt zur Unterstützung Lackreste von der Tür, frisst sie mit wenigen Zungenschlägen. »Hört mit dem Herumgeficke auf!«
    »Beruhige dich endlich, sonst war’s das!«
    Ich beruhige mich nicht, denn ich bin längst die Ruhe in Person. »Es ist nicht meine Schuld«, sage ich, »dass alles hier aus Pappmaschee ist!«
    »Jetzt ist Schluss!«, sagt Mutter. »Vergammele halt da drin!«, sagt sie.
    Und es ist Schluss, endlich! Mutter schlappt ins Wohnzimmer, die Schwester zieht die Zunge aus Kilians Rachen, gönnt ihm den Schlaf der Selbstgerechten. Jetzt geht nebenan der Fernseher an. Damit kann ich leben. Aber der Kampf hat mich fast alle Lebensenergie gekostet. Girl No.1 wird mich gesund pflegen müssen.
    Wollen wir Spaß haben? , fragt Girl No.1 , als sie merkt, dass ich zurück bin und wieder anwesend neben ihr sitze.
    Sorry , sage ich und ziehe ihr das Shirt über den Kopf. Heute kuscheln wir nicht wie die Schafe. Heute machen wir es vor den Augen aller hoch über der Welt! Sie küsst meinen Mund, den Hals, ich spüre ihr Knie zwischen meinen Beinen, wie ihr Haar kratzend auf meine Schulter fällt. Jede einzelne ihrer Bewegungen erinnert mich an Kim. Herzklopfen.
    Strom wurde erfunden und mit ihm die Brücke zur alten

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