Hikikomori
Hunger nach kleinen Schalen Kartoffeleintopf, die wir rechts und links von uns postiert haben. Die Tage eilen dahin, bald jährt sich die Gründung von Welt 0. Ein Jahr hier entspricht einem Monat alter Zeitrechnung. Alle sind mit den Vorbereitungen für das große Fest beschäftigt, sie schmücken die Straßen und Häuser mit LED -Girlanden, bringen ihre angefangenen Projekte zu Ende. Als Jubiläumsgeschenk kündige ich eine Erweiterung der Welt 0 um eine neue Art von Lebewesen an. Einem jeden der Bewohner soll ein treuer Begleiter als Attribut zugeordnet werden, so wie sie das Tier als meinen Begleiter betrachten. In einer großen Fabrik recht abseits gelegen werden diese Begleiter gerade entworfen, einer schöner als der andere: flatternde Origami-Kraniche; schwabbelige schwarze Löcher, die alles verschlingen wollen, den Herrinnen und Herren zuliebe aber artig gehorchen; handgroße, schattenartige Wesen in Form von Ahorn-, Kastanien- und Lindenblättern, spindeldürr, mit überdimensionalen, aufklappbaren Nüssen als Handgepäck. Und zigtausend andere.
Ich bin der Weihnachtsmann , sage ich mit verstellter Stimme, so dass die beiden zu lachen beginnen.
Nein, du bist Steve Jobs , sagt Das Tapfere Sniperlein .
Nein , sagt Girl No.1 , für mich bist du einfach nur Till .
Das Tapfere Sniperlein habe ich mit der Überwachung der Fabrik und der Koordination der Festlichkeiten betraut. So ist er beschäftigt und kommt über die Trennung von Girl No.1 leichter hinweg. Er macht alles, was ich sage. Girl No.1 liegt neben mir, die Beine angewinkelt, und schläft. Ihre Sommersprossen sind bereits weniger geworden. Ich versuche mir vorzustellen, wie Kim aussehen, nach was sie riechen, wie sich ihre Haut anfühlen könnte, und fahre über Girl No.1 blasse Haut, streichele ihre eng am Kopf anliegenden Ohren, im Schlaf dreht sie sich auf die andere Seite und gibt einen kleinen Laut von sich.
Sie schlägt die Augen auf, als ich mich auf ihren Bauch setze. Keine Angst , sage ich , es wird dir nichts passieren . Sie presst die Lippen zusammen und schließt die Augen wieder. Als wäre ihr Gesicht ein Klumpen Ton, drücke ich meine Daumen in das Fleisch. Sie zuckt, vielleicht vor Schmerzen, vielleicht, weil es sich befreiend anfühlt. Zuerst forme ich ihr Gesicht neu, gebe ihr eine gleichmäßig gewölbte Stirn, die in eine kleine Nase mündet. Zwei schmale Striche graviere ich als Augenbrauen in den Ton. Hautfarbe und Sommersprossen belasse ich, wie sie sind. Die Augen schmücke ich mit fasanfederlangen Wimpern, die mir beim Blinzeln Luft zufächern sollen. Als Letztes nehme ich ihre Ohren und ziehe sie leicht vom Kopf ab, so dass jeder weiß: Sie soll es sein.
Ich lege mich neben sie und umschlinge ihren Körper in der Hoffnung, ihn passgenau zu den Linien meines Körpers formen zu können. Erst entsteht der Rumpf, die Hüftknochen stehen deutlich hervor, dann präge ich die Brüste aus. Ihr Bauchnabel senkt sich, dem Rumpf entwachsen feingliedrige und sehr lange Beine, so dass sie beim Abschiedskuss leicht an meine Lippen heranreichen wird. Erst zuletzt bemerke ich, wie nicht nur ich sie in den Armen halte, sondern wie auch sie mich umschlungen hält, ihre Hand meinen Schwanz umfasst, etwas in mir zum Leben erweckt. Als ich ihr einen Kuss auf die Stirn hauche, erwärmt sich die Luft um uns herum um ein Vielfaches. Es riecht nach Beeren und Honig. Ein Kuss auf den Nasenrücken, da schlägt sie die Augen auf. Die erste Brise weht mir von ihren Wimpern entgegen.
Bist du Kim?, frage ich.
Wenn du willst, Till, dann bin ich deine Kim .
Wir halten uns an den Händen.
Till?
Ja.
Gibst du mir einen Kuss?
Ich gebe ihr einen Kuss auf ihren erdigen Mund. Die ganze Welt schaut zu, die ganze Welt fappiert. Ich lege meinen Kopf an ihre Brust. Sie drückt mich fest an sich. Ihr Herzschlag, mein Herzschlag.
Wir sitzen am Esstisch und frühstücken Bohnen. Ich sitze in einer gepunkteten Boxershorts und mit freiem Oberkörper da, Kim hat sich ein luftiges Sommerkleid übergezogen. Später stehen wir Arm in Arm am Fenster und blicken über die bunte Welt 0 hinweg. Ich umfasse ihre Hüfte, sie streichelt mir über die fröstelnden Arme. Allgemeine Staatsfreude wurde verordnet. Die Sonne ist im permanenten Sonnenaufgang-Modus, die Kakteentürme werfen riesige Schatten, die immer wieder bis zu ihrer maximalen Länge anwachsen und dann von vorne beginnen.
Wir richten uns hier ein. Ich koche aus den Röschen des Baumes nach Brokkoli duftenden
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