Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
auf dem Weg zu einem anderen Klassenzimmer, und betrachte ein Leitungsrohr. Rosalie packt mich an einer Gürtelschlaufe und zerrt mich, als ihr das Warten zu blöd wird, weiter zum Kunstraum. Ich hatte auf ein Initialenpaar gestarrt, das neben dem Rohr in die Gipswand gekratzt ist. Ich weiß nicht, von wem die Initialen sind. Von zwei Leuten eben. Vielleicht ist zwischen ihnen alles schon wieder aus, vielleicht sind sie gar nicht mehr an der Schule. Ich sage zu Rosalie, wir sollten darunter ein verrücktes Datum einritzen, 1902, und abwarten, ob es jemand merkt. Genau solche kleinen Klemmarsch-Ideen ärgern Rosalie an mir. Sie schubst mich auf einen Stuhl und geht dann ans andere Ende des Raums, weit weg von mir. Ich sehe mir die Beine der Lehrerin an, wie sie aus den Shorts kommen, und ihre Ellbogen, die sie nie locker lässt.
Es ist erst der zweite Abend, dass ich die Fische füttere, und schon verzichte ich darauf, beim Gang durch das Haus der Drapers das Licht einzuschalten. Es gefällt mir, wie die blauen Aquarien alles erleuchten und die Schatten der Fische wie Wolken über Wände und Teppiche ziehen. Die Aquarienlampen sind zeitgesteuert, und das Wasser wird gewärmt, ich brauche nur die Temperatur zu kontrollieren, mit dem Aräometer zu prüfen, ob das Wasser salzig genug ist, und den Fischen eine winzige Menge Futter zu geben. Fische fressen so gut wie nichts. Ich mache die Wandtanks oben auf, schiebe das Gitter zurück und streue eine Prise hinein. Ein übel riechendes, ziemlich klumpiges Zeug. Einiges davon treibt auf der Oberfläche, anderes schwebt in Bröseln hinunter. Wenn ich auf den Stuhl steige, flippen die Fische aus, schießen aufeinander los und schnappen in die Luft, nach meinen Fingern; dann flitzen sie zum Boden hinunter, dass die blauen Steinchen spritzen. Die Krebse verkriechen sich in ihre Schalen, und die Schnecken saugen sich fest ans Glas, als erwarteten sie die Explosion einer Bombe.
Arnie, der Hai, bleibt reglos im Wasser stehen, wenn ich nach oben in den Gang komme; sein lidloses Auge blickt mich von der Seite an. Er ist nur so groß wie mein Daumen, aber ich bilde mir ein, dass er gefährlich ist. Im Buch steht, dass Haie sich in Aquarien nicht paaren, sondern einander lieber auffressen. Arnie schiebt sich näher an das Glas heran und starrt auf mein weißes T-Shirt, das im Gang zu schweben scheint. Ich werfe ihm ein Salatblatt hinein, und er schießt darauf los und zwickt daran herum. Das Salatblatt dreht sich und treibt durchs beleuchtete Wasser wie ein vom Wind davongewehtes Leintuch.
Später setze ich mich ins Esszimmer, lege die Füße auf den Tisch und sehe den Fischen zu oder spähe mit meinem Fernglas durch das Fenster. Vom Haus der Drapers sehe ich die Nachbarn aus einer ganz neuen Perspektive, habe guten Einblick in andere Räume. Gegen halb zehn ruft die Frau mit der Katze meist jemanden an. Sie zieht dabei ihre Haare nach vorn, dicht vor die Augen, und betrachtet die gespaltenen Spitzen. Oder reckt den Zeigefinger in die Luft, als erteile sie einer unsichtbaren Person eine Lektion. Ich tippe mal, dass sie mit ihrer Schwester telefoniert. Und wette, dass da viel getratscht wird, dass Sätze fallen, die anfangen mit: »Und ich hab ihm sagt, schau mal, hab ich gesagt …«
Die Katzenbesitzerin legt bald wieder auf, isst Eis aus einem kleinen Becher und sieht fern. Dann springt ihre Katze auf den Sofatisch und leckt ihr die Zehen. Sie kauert sich darüber und wirkt erregt. Ich kann es kaum ertragen – ich muss aufstehen, mich am Kopf kratzen und im dunklen Zimmer herumlaufen. Ich entdecke auch, dass Pickelcreme-Boy sich die Achseln rasiert. Vielleicht ist er Sportschwimmer oder so. Vielleicht auch nicht. Dann gibt es ein Mädchen im Teenie-Alter, das ich für Bisons Tochter halte. Sie raucht, beugt sich aus dem Fenster, drückt die Zigaretten auf den Schindeln aus und lässt sie in die Dachrinne rollen. Unten kann ich Mrs. Bison sehen, wie sie Lebensmittel klein schneidet: Fisch, Möhren, Würstchen, gefrorene Lasagne, große graue Fleischstücke. Mrs. Bison kann gut mit dem Messer umgehen.
Aber im Grunde ist das alles zum Gähnen langweilig. Und so komme ich auf die Idee, mich im Haus der Drapers umzusehen. Sie haben ein paar Sexbücher auf dem Regal über dem Bett, Bücher mit kreativen Vorschlägen, aber daneben steht ein medizinisches Lexikon mit horrormäßigen Zeichnungen und Fotos. Diese Kombination garantiert, dass jeder Gedanke an Sex sofort erstirbt. Ich
Weitere Kostenlose Bücher