Hilf mir, Jacques Cousteau: Roman (German Edition)
Mum auch. Pech für mich. Seine klaren, blauen Augen, seine gebräunte Hand, die wieder auf den Tisch klopft.
»Die liegen bloß da, immer noch«, sage ich. Ich bin oben auf dem Dach und beobachte das Paar auf der anderen Straßenseite, das im Schlafzimmer so untätig bleibt. Jeannie ist mit herausgekommen, hält sich aber lieber ein gutes Stück weiter hinten, dicht beim Mansardenfenster.
»Okay«, höre ich Jeannies Stimme, »wusstest du, dass die Krähe in der Mythologie ein Symbol des Todes während des Sexualakts ist, du weißt schon, wenn sich alte Männer junge Frauen nehmen und einen Herzinfarkt kriegen?«
»Hör auf. Echt?«
»Nö. Klingt aber gut, oder?«
Drüben im Osten sieht man die Lichter eines Zugs, der an den rauen Mauern von Lagerhäusern vorbeifährt. Der Himmel ist schwarz und seidig, ein Gefühl, als stünde auf dem ganzen Erdball die Luft still. Jeannie rutscht unbehaglich herum. Sie hat Höhenangst, und ich weiß auch, dass sie es nicht sonderlich sinnvoll findet, auf einem Dach herumzusitzen. Sie seufzt und schnippt ein Steinchen auf mich.
»Und was machen sie jetzt ?«
Ich versuche zu schlafen, entspanne die Zehen, dann die Knöchel. Alles für die Katz. Zwei Kerle rasen mit ihren Autos auf unserer Straße à la Miami Vice herum, mitten in der Nacht, schlittern um Straßenecken wie Hunde, die sich im Kreis jagen. Ich habe mein Bett unter das Fenster geschoben, damit ich in die Zweige der Bäume hinaufschauen kann. Mir fällt wieder ein, wie meine Füße vom Dach baumelten. Scheinwerfer schwenken über die Zimmerdecke, untermalt von Reifengequietsch. Noch ein paar solche Blendattacken, dann endlich nichts mehr. Es ist ruhig. Und dunkel. Ich sehe in den Baum hinauf, und einen Augenblick lang ist mir, als hörte ich die Blätter mit bedrückten Stimmchen tuscheln.
Im Traum schleiche ich ins Dunkel hinein, setze die Füße vorsichtig zwischen scharfkantige Steinplatten. Regelmäßig flammt ein grelles Licht auf – es ist schwer zu sehen, wo man hintreten soll. Ich schaue auf den Boden und sehe im Rinnstein eine Krähe, die unter etwas Nassem, Moosigem feststeckt; sie dreht und krümmt den glatten, muskulösen Hals, um sich hervorzuwinden. Ich greife nach der dunklen Masse, greife in Fichtennadeln, Harz und Lehm – ein klebriger Klumpen, der an dem Vogelkörper haftet, als sauge er ihn aus. Ich höre meine Mutter mit einer gewissen Schärfe sagen: »Nichts auf der Welt ist das wert.«
Rasch fahre ich aus dem Schlaf hoch, noch blind merke ich, dass ich quer über dem Bett liege und durch das Fenster ein Blaulicht blinkt.
Es ist Vormittag; der Hund springt immer wieder fiepend in die Höhe. Der Papagei von Mrs. Baze hockt in seinem Käfig auf unserem Kühlschrank, legt den Kopf schief und untersucht mit einem seiner Scheibenaugen das fragwürdige Gehopse da unten. Wir wissen noch nicht, wie der Papagei heißt. Valentine und Bigs wurden bei einer anderen Familie untergebracht, die keine Katzen oder Hunde hat. Die Nachbarn, die sich gestern Nacht vor Mrs. Bazes Haus versammelt haben, um ihr zu helfen, sind zu dem Schluss gekommen, unser Hund sei sanftmütig genug und der Papagei anscheinend zäh genug, und so wurde er bei uns einquartiert.
Nach der Einnahme ihrer Herztabletten konnte Mrs. Baze kein Wasser mehr lassen. Sie ist ein paarmal in ihrem Haus ohnmächtig geworden, schließlich im Nachthemd auf den Rasen eines Nachbarn hinausgewankt und dort, Wirres stammelnd, zusammengebrochen. Jetzt ruft sie stündlich aus der Klinik an und verlangt von uns, dass wir den Hörer an Florios Käfig halten, damit sie ihn rufen kann. Der Vogel kaut an seinen Zehennägeln, sperrt den Schnabel auf und zeigt seinen trockenen kleinen Zungenstummel. Andrew schiebt ein Stöckchen in den Käfig, und Florio hackt blitzschnell zu und knipst es mittendurch.
»Die haben drei Beutel aus mir rausgeholt«, sagt Mrs. Baze und gießt mir noch eine Tasse Instanttee ein. »Die haben diesen Schlauch durch meine – du weißt schon – raufgeschoben und mich völlig überdehnt. Ich muss immer noch Einlagen tragen.« Sie seufzt aus tiefstem Herzen, setzt sich in ihren Sessel und schaut in den Garten hinaus. Auch ich betrachte die Trauerweide, den efeuüberladenen Zaun. Blumen wachsen in Rabatten und Rundbeeten, säumen den Rasen oder hängen aus Fensterkästen, die Terrassenziegel sind von Blütenblättern gefleckt. Manche Blumen stehen strotzend vor Saft auf dicken Stängeln, andere beugen sich wie erschöpft herunter.
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