Hill, Susan
entschuldige mich dafür.«
»Ich bin schon mit Schlimmerem fertig geworden – denken Sie sich nichts dabei. Es hat mich eher verwirrt als sonst etwas.«
Ihr Kaffee wurde gebracht, und Cat rührte mehrmals in ihrem Espresso, bevor sie Freya wieder ansah und sagte: »Dann ist da natürlich noch Martha. Hat Si sie erwähnt?«
»Nein, aber …«
»Nein, ich nehme nicht an, dass er seinen Kollegen davon erzählt. Er findet es schwierig.«
»Ich war mit Simon auch schon außerhalb der Arbeit zusammen.«
»Ach ja?« Cat sah sie scharf an.
»Wir waren zusammen essen.«
»Ach so.«
Freya wollte Cat so gerne von dem Abend in Simons Wohnung erzählen, von dem Essen beim Italiener, von ihren Gefühlen. So ein Gespräch könnte sie einander näher bringen. Doch Cat sagte: »Martha ist unsere jüngere Schwester … zehn Jahre jünger als wir. Sie wissen, dass wir Drillinge sind? Es gibt auch noch Ivo, der in Australien lebt.«
»Ja, das hat Simon mir erzählt.«
»Martha ist schwerstbehindert, geistig und körperlich. Das war sie von Geburt an. Erstaunlich ist nur, dass sie nicht schon als Kind gestorben ist. Sie lebt in einem Behindertenheim in Chanvy Wood. Das hat meinem Vater sehr zugesetzt, und er erwähnt sie kaum – ich glaube nicht, dass er und ich mehr als zwei- oder dreimal in meinem Leben über Martha gesprochen haben. Wenn ihn etwas bitter, wütend und abweisend gemacht hat, dann das.«
»Das muss schwer für Meriel sein.«
»Sehr schwer. Aber es gab eine ganze Menge, was schwer für sie war, und sie hat es einfach auf sich genommen und ist ihren Weg weitergegangen. Ich mag zwar nicht immer gut mit Ma zurechtkommen – sie macht mich manchmal schier wahnsinnig –, aber ich bewundere sie mehr, als ich sagen kann.«
»Gibt Ihr Vater irgendjemandem – oder irgendetwas die Schuld an Marthas Verfassung?«
»Keine Ahnung. Oh, vermutlich sich selbst, tief in seinem Inneren, wo ihn niemand je erreichen könnte. Natürlich ist das Blödsinn, es ist einfach ein Chromosomendefekt. Es gibt dazu keine Vorgeschichte in unserer Familie. Aber es ist schwer, so etwas rational zu betrachten, wenn es einem selbst zustößt. Ich weiß das, weil ich mit Patienten in ähnlichen Situationen zu tun hatte.«
»Ich frage mich, warum Simon es nicht erwähnt hat.«
»Simon hat vieles von meinem Vater in sich, aber auf positivere Weise. Er ist ebenfalls sehr zurückhaltend …, auch er hat etwas tief in seinem Inneren, das niemand erreicht. Man rührt einfach nicht daran.«
»Niemand?«
Cat sah sie lange an. »Niemand. Es geht mich zwar nichts an, Freya …, aber versuchen Sie es nicht. Ich liebe meinen Bruder sehr, doch ich bin, abgesehen von Mutter, wahrscheinlich die einzige Frau auf der Welt, der das gelingt.«
Sie trank den Espresso aus und sammelte ihre Einkaufstüten zusammen. »Ich muss meine Unterhemden und Unterhosen heimbringen.« Sie wollte ihren Geldbeutel herausziehen, aber Freya streckte die Hand aus. »Nein, das zahlt die Kripo. Sie haben der Polizei bei ihren Ermittlungen geholfen. Das haben Sie tatsächlich – ich musste mit jemandem über diese Starly-Sache reden.«
»Besuchen Sie uns doch mal zu Hause, ja? Wenn Sie das Chaos eines Sonntagsbrunchs ertragen?«
»Aber gerne.«
»Ich ruf Sie an.« Cat beugte sich plötzlich vor und legte ihre Wange kurz an Freyas. »Ich bin wirklich froh, dass ich durchs Fenster geschaut habe.«
Freya sah ihr nach, wie sie sich mit den Einkaufstüten durch die Tür schob, und fühlte sich in Hochstimmung versetzt, trotz der Warnung wegen Simon, derselben Warnung, die auch Sharon Medcalf ihr gegeben hatte. Sie mochte Cat um ihrer selbst willen. Sie glaubte auch, dass Cat, trotz ihrer pflichtbewussten Ansprache, Freya mochte und sie vielleicht sogar als gut für ihren Bruder betrachtete. Bitte, dachte sie und steckte ihr Notizbuch weg, ja, bitte.
40
E r war um halb sechs Uhr morgens zum Gewerbegebiet gefahren, um sich die echte Debbie anzuschauen, damit er sie deutlich vor Augen hatte, wie sie jetzt war und wie sie gewesen war. Als er am Fuße des Hügels ankam, waren sie bereits da, in großer Anzahl. Mannschaftswagen der Polizei, Reporter, Fernsehcrews, wie an einem Filmset, mit all den Neugierigen, die dazugehörten. Es war noch früh, aber viele hatten davon gehört und kamen zum Zuschauen, hauptsächlich Frauen und ein paar Teenager, bevor sie zu ihren Schulbussen mussten.
Er war entschlossen gewesen, dem Ganzen fernzubleiben, wusste ganz genau, was all
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