Hill, Susan
stehen bleiben.«
Freya kam heraufgerannt, und die anderen folgten ihr. Alles war verdorben, die letzten paar Sekunden, die letzten paar Schritte. Der Film war gerissen.
Er beobachtete Graffham, ihre Hand auf der Schulter des Mädchens. Er konnte sie nicht mehr hören. Das Mädchen hatte ihn in Erregung versetzt, und dann hatte die Polizistin ihn zurückgeholt.
Er wollte sie töten.
Als Cat Deerborn auf dem Weg zur Praxis am Hügel vorbeifuhr, war niemand mehr da, aber sie hatte den Umweg absichtlich gewählt, um möglichst viele Erinnerungen an Debbie Parker wachzurufen, die von Nutzen sein könnten. Debbie war ein merkwürdiges Mädchen gewesen, einerseits ernsthaft depressiv, entstellt von der Akne, übergewichtig – und doch hatte sich Cat, wenn Debbie in die Sprechstunde kam, nie so ausgelaugt und müde gefühlt wie bei vielen anderen ihrer Patienten mit einem Stimmungstief. Sie hatten gewitzelt, Debbie hatte scharfe, gut beobachtete Bemerkungen gemacht, da waren Intelligenz und Wärme unter dem trübsinnigen Äußeren gewesen. Und wo war sie jetzt? Unterwegs mit einem Zigeuner-Hippie-Clan in einem uralten Bus, ohne sich je zu waschen? Auf dem Weg zu den Gurus in Indien? Beides kam ihr unwahrscheinlich vor.
Das Verschwinden von Mrs Chater war sogar noch beunruhigender. Cat dachte an die Stunden, die sie mit ihr und dem sterbenden Ehemann in dem heißen Vorderzimmer verbracht hatte. Nein, auch sie war keine Frau, die ohne Vorwarnung verschwinden würde. Sie war aus härterem Holz, die Art Frau, die ihr Leben, solange es noch dauerte, weiterführen und das Beste daraus machen würde. Es passte nicht zu ihr, einfach wegzulaufen. Was wohl ebenso auf Debbie zutraf, dachte Cat.
Sie bog auf den Praxisparkplatz und blieb noch einen Moment im Auto sitzen, nachdem sie den Motor abgestellt hatte. Ein hohles, leicht schmerzhaftes Gefühl in der Magengrube beunruhigte sie. Tot, dachte sie. Sie waren beide tot. Woher weiß ich das? Warum bin ich mir so sicher? Freya Graffham hatte sie gefragt, ob sie ihr irgendetwas über die beiden Frauen erzählen konnte, und in gewissem Sinne gab es eine Menge zu erzählen – all das, worüber sie gerade nachgedacht hatte. Aber was würde das für die polizeilichen Ermittlungen bringen? Nichts. Vage, ominöse Gefühle. Es würde sich nicht lohnen, deswegen anzurufen.
Aber sie wollte Freya gerne wiedersehen. Sie mochte sie, hatte das zufällige Treffen und das Gespräch mit ihr genossen. Und sie wünschte sich sehr, dass Simon keinen Platz in diesem Bild fand. Sie hatte die von Freya ausgehenden Signale nur zu gut erkannt. In der Vergangenheit hatte es weiß Gott genug davon gegeben. Si zog Frauen an, was kein Wunder war. Er mochte Frauen, war gern mit ihnen zusammen, führte sie aus, unterhielt sich mit ihnen und, was noch wichtiger war, hörte ihnen aufmerksam zu. Danach ergriff ihn Panik. Außerdem gab es wahrscheinlich immer noch Diana.
Cat war das einzige Mitglied der Familie und möglicherweise der einzige andere Mensch, der von Diana Mason wusste. Simon kannte Diana seit fünf oder sechs Jahren; die beiden hatten sich in Florenz kennen gelernt, wo er, wie so oft, zum Zeichnen hingefahren war. Sie waren ins Gespräch gekommen, hatten sich gut verstanden und festgestellt, dass ihre Hotels in derselben Straße lagen. Das hätte alles gewesen sein können, war es aber aus irgendeinem Grund nicht. Als sie nach England zurückgekehrt waren, hatte Si sie angerufen.
Diana Mason wohnte in London, war seit über zwanzig Jahren verwitwet und wollte nie wieder heiraten. Stattdessen wollte sie einen Beruf ergreifen, wozu sie vorher nicht in der Lage gewesen war, und hatte sich mit dem von ihrem Mann geerbten Geld ihr erstes Restaurant in Hampstead gekauft. Inzwischen besaß sie eine Kette von neun Restaurants, alle unter dem Namen »Mason«, in London und geschickt gewählten Orten wie Bath, Winchester, Cambridge und Brighton. Die Mason-Restaurants waren gemütliche Brasserien, in denen man ausgezeichnet essen konnte, geöffnet von zehn bis zehn, wo man den besten Kaffee, das beste Eis und American Salad bekam, Kinder, Familien und Studenten willkommen waren, mit genau der richtigen Atmosphäre, Ausstattung und dem richtigen Personal. Diana hatte alles selbst entworfen und ausgesucht, jedes Detail wurde von ihr entschieden, und sie vertrat jetzt die vernünftige Ansicht, dass sie eine gewinnbringende Formel gefunden hatte und sich an sie halten sollte. Sie arbeitete schwer, fuhr
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