Himmel uber Langani
das Flugzeug nach Nairobi stieg.
Kapitel 9
Dublin, Mai 1965
S arah schloss die Wohnungstür hinter sich und zog sich ihren Wollhut tief ins Gesicht, um sich vor den heftigen Windböen zu schützen, als sie sich auf den Weg zur Hauptstraße machte. Sie hatte beschlossen, ins College zu fahren, um zu sehen, ob eine der Dunkelkammern frei war. Wenn der Bus bald kam, hatte sie gute zwei Stunden Zeit, um die Bilder zu vergrößern. Seit Tagen goss es ununterbrochen in Strömen. Wenn Autos vorbeifuhren, spritzte Wasser auf den Gehsteig. Es klatschte gegen ihre Stiefel, und sie spürte, wie die Nässe ihren ganzen Körper durchdrang. Der Wind bahnte sich unbarmherzig seinen Weg unter den Kragen ihres Mantels, und das Regenwasser rann ihr in den Nacken und über das Gesicht, ganz gleich, in welche Richtung sie sich drehte. Sie hatte diese ständige Düsternis satt. Wie anders war der Monsun in Kenia, wenn sich einige Stunden lang Wasser wie aus Schleusen auf die ausgetrocknete Erde ergoss, um dann mit einem Mal zu versiegen, und schimmernder Dampf in die warme Luft aufstieg. Wenn es in Mombasa regnete, liefen die Kinder nach draußen, kreischten vor Vergnügen und bespritzten einander in den sich bildenden Pfützen. Streunende Hunden leckten das schlammige Wasser auf, und in der Luft hing der schwere Geruch nach durstigem Lehm, der das Wasser aufsaugte und die Hoffnung auf keimendes Grün weckte. Hier pressten sich die Menschen in Hauseingänge oder drängelten sich unter einem Meer von Regenschirmen aneinander vorbei, jeder von ihnen vertieft in die eigene Trübsal, gefangen in dem unaufhörlichen Nieseln, das wie ein Vorhang aus tief hängenden Wolken fiel, wenn der Regen etwas nachließ. Sie würde sich nie an dieses Land gewöhnen können. Jetzt im Mai sollte der Frühling allmählich in den Sommer übergehen, um Himmels willen! Der Bus bremste mit quietschenden Bremsen vor ihr, als sie in letzter Minute den Arm hob, um ihn aufzuhalten.
Sie stand im Gang, eingeklemmt zwischen den dampfenden, aneinander gedrängten Körpern in dicken Mänteln, während das Regenwasser von den zusammengefalteten Schirmen auf den Boden tropfte und dort Pfützen bildete. Feuchtes Haar, feuchte Wolle, feuchtes Leder, der Geruch nach nassen Füßen und abgestandenem Schweiß – das alles bereitete ihr Beklemmung. So musste sich Vieh auf dem Weg zum Schlachthof fühlen, dachte sie. Geduldig und ergeben, während es holpernd und ruckelnd in sein Verderben fuhr. Wäre nur irgendwo in der Ferne ein Streifen blauen Himmels zu sehen gewesen! Sie sehnte sich danach, dass der Sommer begann und ihre Vorlesungen, Seminare und Examen und das Gedränge in der Bibliothek endeten. Dann würde sie alles hinter sich lassen und das Licht des Tagesanbruchs in Afrika genießen, den Singsang der Kinder auf dem Weg zur Schule, das Geräusch des Winds in den Palmen und das Tosen der Brandung am Riff. Sie würde frei sein, in ihrem Dingi über die Lagune flitzen, das Segel halten und Raphael etwas zurufen, während sie ein Wettrennen zum Kanal veranstalteten. Oder sie würde auf Safari gehen, in den bundu fahren, mit dem durchdringenden Geruch der Akazien und dem roten Staub der Erde in der Nase.
Sie trat von einem Fuß auf den anderen, um in dem schwankenden Bus das Gleichgewicht zu halten, und fragte sich wieder einmal, ob sie sich in Irland jemals wohl fühlen würde. Als ihre Eltern auf Urlaub hier gewesen waren, hatten sie davon gesprochen, wieder »nach Hause« zurückzukehren. Aber ihr Zuhause und ihre wahren Freunde waren in Afrika. Ihre Stimmung sank noch mehr, als sie an das katastrophale Wiedersehen in London dachte. Seitdem hatte sie Camilla nur einmal geschrieben und sich sehr förmlich für ihre Gastfreundschaft bedankt. Wenn sie an die Szene in diesem Nachtclub dachte, stieg immer noch Groll in ihr auf. Sie konnte Piets Gesicht vor sich sehen, zuerst verwirrt und dann strahlend vor Hoffnung, als er Camillas Hand ergriffen hatte und es kaum fassen konnte. Und dann der Ausdruck in seinen Augen, als er die Wahrheit begriff. Er hatte sein Innerstes bloßgelegt, ohne etwas zu verbergen, ohne sich selbst zu schützen. Dieser Idiot! Hatte er nicht vorhersehen können, was sie vorhatte? Sie alle waren Schachfiguren in einem grausamen Spiel gewesen! Vielleicht war das alles, was sie je in ihnen gesehen hatte. Und sie hatte Piet mit einer Gefühllosigkeit abgefertigt, die unfassbar erschienen wäre, hätte man nicht gewusst, dass sie die Tochter ihrer
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