Himmel uber Langani
faszinierende Landschaft, die Bräuche der Stammesvölker und die wilden Tiere in der Steppe, hörten ihr die Leute eine Weile zu, bis ihre Blicke abschweiften und Sarah sah, dass sie sich keinen Begriff von dem machen konnten, worüber sie sprach. Sie konnten sich nicht einmal ansatzweise die Weite der Masai Mara vorstellen, das beeindruckende Schauspiel, wenn Hunderttausende Gnus sich auf ihre jährliche Wanderung machten, das mystische Gefühl, das einen befiel, wenn man das Licht der Morgendämmerung auf dem indischen Ozean tanzen sah. Schließlich hatte sie aufgehört, davon zu erzählen. Nur nicht bei Mike. Mike hatte sich interessiert gezeigt und wollte alles begreifen. Zumindest glaubte sie das. Und das war wie ein Geschenk für sie!
Sarah stand allein in der Dunkelkammer, vollkommen vertieft in die geisterhaften Erscheinungen, die wie Ertrunkene in einem Swimmingpool aus der Entwicklerflüssigkeit auftauchten. Begeistert beobachtete sie, wie die Aufnahmen Gestalt annahmen und immer klarer wurden, bis sie die geisterhaften Figuren erkennen konnte, die von Falten durchzogenen Gesichter und knorrigen Hände, den Zigarettenrauch, der sich über den Augen kräuselten, die zu viel Leid gesehen hatten. Diese Bilder waren gut. Sehr gut. Sie hatte das kaum zu hoffen gewagt, aber als sie jetzt eine Vergrößerung nach der anderen mit einer Plastikzange aus der Wanne nahm, sie abspülte und zum Trocknen aufhängte, sah sie, dass diese Fotos eine Geschichte erzählten. Die Männer und Frauen saßen in einer schäbigen Küche am Tisch. Alle waren am Rand der Verzweiflung, machten sich aber gegenseitig Mut, spendierten einander Zigaretten und lächelten tapfer in die Kamera. Ihre Finger waren von Nikotinflecken übersät, so wie ihr Leben von Abhängigkeiten aller Art behaftet war. Sie hatte die Aufnahmen letzte Woche in dem Obdachlosenasyl St. Joseph’s aufgenommen, einer Zufluchtsstätte für Alkoholiker und Drogenabhängige an der Liffey, in der Nähe der Bahnstation am Sarsfield Quay. Sarah arbeitete dort ehrenamtlich seit letztem Winter, als sie dort zum ersten Mal in der Suppenküche geholfen hatte. Seltsam, wie eine zufällige, scheinbar unbedeutende Entscheidung ihrem Leben eine überraschende Wendung gegeben hatte.
Eines Nachmittags hatte sie am schwarzen Brett im College eine Notiz entdeckt.
Freiwillige bei der Essensausgabe für Obdachlose im Stadtzentrum gesucht.
Am Dienstag, den 26. November
An diesem Tag hatte sie sich besonders verloren gefühlt. Sie teilte sich eine Wohnung mit Tim, aber als Assistenzarzt auf einer Unfallstation war er kaum zu Hause. Wenn sie ihn zu Gesicht bekam, war er so müde, dass man kaum mit ihm reden konnte. Ihre Träume von gemeinsamen Studentenpartys mit neuen Freunden und Tims Kommilitonen hatten sich in Luft aufgelöst – zum einen behinderte sie ihre Schüchternheit, zum anderen die strapaziöse Arbeit ihres Bruders. Als sie auf das schwarze Brett schaute, beschloss sie, etwas für Menschen zu tun, denen es schlechter ging als ihr. Und vielleicht würde sie dabei sogar Freundschaft mit anderen Freiwilligen schließen.
Zwei Tage später fuhr sie am Abend zum Gemeindezentrum am Merchant’s Quay. Ein Franziskanermönch in einer braunen Kutte und Sandalen führte sie zu einem jungen Mann, der im Eingangsbereich die Tische deckte.
»Das ist Sarah Mackay, Mike. Würdest du ihr bitte zeigen, was zu tun ist?«
»Natürlich, Pater Connolly.« Der junge Mann zählte die Gedecke, bevor er aufsah.
»Kann ich dir dabei helfen?«, fragte Sarah. »Oder gibt es etwas anderes zu tun?«
Ein Lächeln erhellte sein dunkles, ernstes Gesicht. Er musterte sie kurz und betrachtete den Schnitt ihres Wollkleids, die blaue Perlenkette und die hellen Wildlederstiefel, die sie von Camilla bekommen hatte.
»Na ja ….« Er legte das Besteck zur Seite und wies auf einen leeren Tisch. »Ich denke, du könntest …«
»Mike, bist du hier immer noch nicht fertig?« Ein großes Mädchen kam auf sie zu. Sie trug ihr Haar mit einem roten Schal im Nacken zusammengebunden und wirkte sehr zielstrebig und tüchtig. »Lass das. Ich habe einen der anderen gebeten, die Tische vorzubereiten. Dich brauche ich an der Tür.«
»Das ist Sarah«, sagte Mike. »Sie ist neu hier und hilft heute Abend aus. Sarah – Cathy.«
»Hallo.« Cathy lächelte flüchtig. »Wir brauchen jemanden in der Küche. Dort herrscht Chaos. Kannst du kochen?«
Sarah spürte Panik in sich aufsteigen. Kochen? Bevor sie nach Dublin
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