Himmel über Darjeeling
erahnen.
»Hier sind wir ungestört.« Mohan Tajids Stimme, irritierend tief für einen Mann in seinen jungen Jahren, klang übertrieben laut nach dem langen Schweigen auf ihrem Weg hierher, schien verräterisch von den Wänden des verlassenen Innenhofs widerzuhallen.
»Hier beginnt der verbotene Teil des Palastes«, fuhr er fort, »von dem es heißt, er sei verhext. Nur Paramjeet, der taubstumme Gärtner, der sich um den Hof kümmert, traut sich hierher. Alle halten ihn ohnehin für verrückt, und hier kann er nach Herzenslust schalten und walten, ohne sich als Ausgestoßener fühlen zu müssen.«
»Und wenn er uns hier entdeckt?«
»Er würde uns nicht verraten«, antwortete Mohan Tajid schlicht, in einem Tonfall, der keinen Zweifel aufkommen ließ.
Winston folgte dem jungen Chand über den gefliesten Weg, der im Quadrat durch den Hof führte. Nachdenklich betrachtete er die hohe Mauer auf der gegenüberliegenden Seite, von der aus sich ein Turm in den Nachthimmel reckte, dunkel und unbeleuchtet, der helle Stein aber silbrig glänzend im Sternenlicht.
»Weshalb glaubt man, er sei verhext?«
Mohan Tajid schwieg, und Winston glaubte, er hätte ihn nicht gehört, ehe er mit rauer Stimme entgegnete: »Das ist eine lange Geschichte.« Ein gefährlich aggressiver Tonfall lag in seinen Worten, und Winston begriff, dass es besser war, nicht nachzuhaken, obwohl seine Neugier hell entflammt war, nicht zuletzt durch die Spur von Traurigkeit, die er ebenfalls herausgehört zu haben glaubte.
Der Sohn des Rajas führte ihn zwischen Jasminsträuchern und einem Bogen von Kletterrosen hindurch zu einer massiven, aus schwerem Holz geschnitzten Bank, auf der er sich niederließ und Winston bedeutete, es ihm gleichzutun.
»Warum sind wir hier?«
Der junge Chand betrachtete seine Beine in den schwarzen Reiterstiefeln, die er bequem ausgestreckt hatte. »Wie ich schon sagte: Ein Rajputenpalast ist voll heimlicher Lauscher und Beobachter, und selbst ich weiß nicht, wer davon alles Ihre Sprache spricht. Es würde uns beiden zum Verhängnis, sollte der Raja von unserem Gespräch erfahren.«
»Aber Sie sind sein Sohn«, wandte Winston verständnislos ein.
Mohan Tajids Zähne blitzten hell in der Dunkelheit auf, als er grinste.
»Gewiss. Aber für uns kshatriyas steht die Ehre über der Stimme des Blutes, und Verrat bleibt Verrat, gleich wer ihn begangen hat. Verglichen mit meinen älteren Brüdern und Schwestern hat der Raja viel Nachsicht mit mir, aber mich mit seinen Feinden zu verbünden, das würde er selbst mir nicht verzeihen.«
»Wollten Sie das denn – sich mit uns verbünden?«
Der Sohn des Rajas schwieg einen Moment, beugte sich vor und hob einen Zweig vom Boden auf, den er zwischen den Fingern hin und her zu drehen begann, ehe er leise weitersprach.
»Ich werde Ihnen nicht helfen, dieses Land unter Ihre Kontrolle zu bringen, dafür liebe ich es zu sehr. Rajputana muss frei bleiben. Ganz Indien sollte es sein.« Winston hob an, ihm energisch zu widersprechen, doch Mohan Tajid ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ich will Ihnen helfen, Ihre Haut zu retten, die Sie und diejenigen, die Sie geschickt haben, ebenso leichtfertig wie anmaßend aufs Spiel gesetzt haben.«
Winston sah ihn erstaunt an.
»Wie kommen Sie darauf? Morgen früh werde ich den Palast unverrichteter Dinge wieder verlassen und nach Jaipur zurückreiten.«
Mohan Tajid erwiderte seinen Blick mit einem unergründlichen Ernst in den Augen.
»Der Raja hatte Recht: Sie wissen nicht das Geringste über Indien. Sie glauben doch nicht, dass die Wachen vor Ihrem Zimmer für ungestörten Schlaf sorgen sollen?« Winston wusste nicht, was er erwidern sollte, wich verwirrt Mohans durchdringendem Blick aus, und so fuhr dieser fort.
»Sie sitzen hier fest, Winston. Der Raja liebt nichts mehr, als Katz und Maus zu spielen, wie es bei euch heißt. Er wird Sie nicht einfach gehen lassen, nicht heute und nicht morgen. Er wird Sie mit schönen Frauen, Juwelen und einem süßen Leben bestechen, bis Sie England und Ihren Auftrag vergessen haben. Er wird Sie zu einer Partie Schach bitten und Sie verachten, wenn Sie verlieren oder nur ein Remis erringen, und er wird Sie hassen, wenn Sie gewinnen. Er wird Sie in philosophische und politische Diskussionen verwickeln, bis Ihnen die Argumente ausgehen und Sie einen Fehler machen, den er als Angriff auf seine Ehre deuten kann. Er wird sich von Ihnen auf die Jagd begleiten lassen und in einer plötzlichen Bewegung Ihrerseits
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