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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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einen Anschlag auf sein Leben vermuten. Er wird nicht eher ruhen, bis er Sie in eine Ecke getrieben hat, aus der Sie nicht mehr entkommen und er dann genüsslich seine Krallen in Sie schlagen kann. Er kann Sie vernichten, Winston, und er wird es tun.«
    »Das ist lächerlich«, rief Winston erregt und sprang auf. »Ich bin ein Abgesandter der Krone, sollte mir hier etwas zustoßen – «
    »Was dann?«, unterbrach ihn Mohan Tajid nicht minder heftig. »Sollte irgendwann tatsächlich ein Trupp englischer Soldaten hier auftauchen, um nach Ihrem Verbleib zu forschen, hat niemand hier Sie je gesehen. Ihnen ist irgendwo in der mörderischen Wüste zwischen Jaipur und Surya Mahal ein Unglück widerfahren; Sie wären nicht der Erste, den ein solches Schicksal ereilte. Und selbst wenn es ein Verdachtsmoment gäbe … Ihre Person in allen Ehren, Winston, aber glauben Sie wirklich, Ihre Leute würden sich mit Dheeraj Chand und den mit ihm verbündeten Fürsten anlegen, einen Krieg in dieser unwirtlichen Gegend anzetteln, um eines einfachen Captains willen?«
    Winston konnte nicht umhin anzuerkennen, dass Mohan Tajid Recht hatte, auch wenn es ihm noch so sehr widerstrebte. Wütend funkelte er den jungen Chand an.
    »Weshalb sollte ich Ihnen trauen? Woher sollte ich wissen, ob nicht Sie mir gerade eine Falle stellen?«, gab er scharf zurück.
    Ein belustigtes Grinsen breitete sich auf Mohans Gesicht aus.
    »Das können Sie nicht wissen. Aber entscheiden müssen Sie sich.«
    »Wenn Sie doch auf meiner Seite sind – weshalb schleusen Sie mich dann nicht durch einen dieser Geheimgänge nach draußen, solange es noch Nacht ist?«, bohrte Winston nach.
    Mohans dunkles Gesicht nahm wieder einen ernsten Ausdruck an.
    »Weil ich nicht weiß, ob nicht alle, die nach draußen führen, inzwischen streng bewacht sind. Und ich bin keineswegs auf Ihrer Seite, noch auf der des Rajas. Ich bin nur der Meinung, dass Sie nicht für Ihren Leichtsinn und Ihre Unwissenheit mit dem Leben bezahlen sollten.« Grüblerisch legte er die hohe Stirn unter dem Turban in Falten und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. »Allerdings überrascht mich dieser Vorschlag. Ich hatte Sie für einen echten Solaten gehalten, der den ehrenvollen Kampf einer feigen Flucht vorzieht.« Fragend sah er zu Winston auf.
    Winston, der sich ertappt fühlte, spürte, wie Zornesröte in seinen Wangen aufstieg.
    »Was schlagen Sie also vor?«, entgegnete er scharf.
    »Ich sage Ihnen alles, was Sie wissen müssen, um hier mit heiler Haut wieder herauszukommen. Und dafür erzählen Sie mir von England.«
    Winston konnte ein Zucken um die Mundwinkel nicht unterdrücken, und er sah, dass es dem jungen Chand ähnlich erging. In gegenseitigem Verstehen grinsten sich die beiden Krieger so unterschiedlicher Herkunft an.
    »Einverstanden.«
    Bereitwillig streckte er seine Rechte aus, und mit einem kräftigen Händedruck besiegelten der Rajputenprinz und der englische Soldat ihr Bündnis.

4
      D er verbotene, wie verwunschen wirkende Hof wurde zu ihrem geheimen Treffpunkt. Paramjeet, der alte Gärtner, gebeugt vom jahrelangen Unkrautjäten und verwittert von der Sonne, brachte Winston jeden Tag einen Blütenzweig oder Obst und signalisierte ihm mit Fingerzeichen und Verschwörerblick die Stunde, in der er sich im Garten einfinden sollte. Inzwischen kannte Winston den Weg durch den Geheimgang und die verwinkelten Korridore wie im Schlaf, hatte ein Gehör entwickelt für leiseste verdächtige Geräusche und verräterische Schritte, die für ihn eine Gefahr bedeutet hätten.
    In gestohlenen Stunden, tagsüber beim Gesang der Vögel und nachts beim Gezirpe der Grillen, erzählte Mohan Tajid von der jahrhundertealten Tradition der kshatriyas , ihrer Weltsicht, ihrer Religion und dem alles andere übersteigenden Verständnis von Ehre. Winston begriff, dass er wirklich nichts von Indien wusste. Unmerklich begann er das Land und seine Menschen mit anderen Augen zu sehen. Er hatte seit seiner Ankunft in Indien rasch die wichtigsten Sprachen gelernt, Bengali, Urdu, Hindustani, denn das Lernen fiel ihm leicht, und er wusste, dass solche Kenntnisse unabdingbare Voraussetzung waren, um sich im Sold der Krone verdient zu machen, und den Aufstieg erleichterten. Von der Arroganz vieler seiner Kameraden und Vorgesetzten, Indien sei ein primitives Land, die Europäer und vor allem die Briten dazu ausersehen, seine Menschen zu beherrschen und zu ergebenen Untertanen der Königin zu machen, oft genug

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