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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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hineintrat. Mit einem feinen Klicken schloss Mohan Tajid die Platte hinter ihnen.
    Eine Mischung aus Kälte abgebendem Stein und stickig heißer Luft empfing sie, ließ Winston frösteln und gleichzeitig Schweißperlen auf seine Stirn treten. Der Gang war so schmal, dass sie hintereinander gehen mussten, Mohan Tajid vorweg, und die Laterne beleuchtete kaum zwei Schritt ihres Weges. Winston verlor jegliches Gefühl für Zeit und Raum, konnte nicht sagen, wie lange sie gingen oder in welche Richtung, bis Mohan Tajid so abrupt stehen blieb, dass er beinahe auf ihn geprallt wäre.
    Er hörte ein leises Klicken, und durch eine niedrige Tür schlüpfte er hinter Mohan Tajid ins Freie. Erleichtert atmete er die Nachtluft, warm für diese späte Stunde, und doch leicht und frisch nach dem Modergeruch des Geheimganges. Vorsichtig, Inch um Inch, schloss Mohan Tajid die Tür wieder, bemüht, sie nicht durch ein unbedachtes Geräusch zu verraten. Auf leisen Sohlen durchquerten sie den Innenhof, in den sie gelangt waren, und schlichen die breite hölzerne Treppe an seinem anderen Ende hinauf, die in eine Galerie mit aufwändig geschnitztem Geländer mündete.
    Mohan Tajid berührte ihn leicht am Ärmel seines rot-goldenen Uniformrocks und zeigte durch die hohen, steinernen Säulen, die sich bis zu ihnen hoch schraubten, in den hell erleuchteten Gang, der unter ihnen lag. Winston erkannte ihn sogleich an den beiden bronzenen Löwen, die beiderseits der Tür ihre Tatzen erhoben. Und er wusste genau, dass die vier bis an die Zähne bewaffneten Rajputenkrieger noch nicht lange vor seiner Zimmertüre stehen konnten …
    Er spürte Mohan Tajids Augen auf sich ruhen und erwiderte dessen tiefen, ruhigen Blick mit einem Nicken zum Zeichen, dass er verstanden hatte, ehe Mohan Tajid ihn weiterwinkte. Von der Galerie bogen sie ab in einen scheinbar endlosen Gang, dessen Säulen den Blick freigaben auf den Sternenhimmel über der Wüste. Winstons Hemd klebte ihm schweißfeucht am Rücken unter dem schweren Rock, denn es war die heißeste Zeit des Jahres. Der leichte Wind, der zwischen den mächtigen Steinpfeilern hereinzog, kühlte angenehm.
    In der nächsten Sekunde fühlte er sich von Mohan Tajid am Ärmel gepackt und hinter eine der Säulen an der Innenseite des Ganges gezerrt. Reflexartig suchte er sich aus dem Griff zu befreien und musste erstaunt feststellen, dass er die Kraft Mohan Tajids unterschätzt hatte. Der junge Inder drückte sich eng an den benachbarten Pfeiler und legte den Zeigefinger an die Lippen. Winston lauschte in die Nacht hinaus, doch außer dem Wispern des Windes und dem weit entfernten Schrei eines Tieres irgendwo in den Weiten des Landes konnte er nichts hören. Dann, nach einer kleinen Ewigkeit, Schritte, energisch und in festem Gleichklang, knallend auf dem glatten Steinboden. Winston versuchte sich so schmal zu machen wie möglich und spähte über seine Schulter: Zwei Rajputen auf Wachgang marschierten vorbei. Es schien endlos lange zu dauern, bis der Klang ihrer Schritte sich entfernte, schließlich zwischen den Mauern des Palastes verhallte. Geraume Zeit verstrich, ehe Mohan Tajid ihm mit einer Handbewegung das Signal gab, weiterzugehen, durch schwach beleuchtete Gänge, im Halbdämmer daliegende Säle, vorbei an Statuen, die in ihren Schatten gigantisch und dämonisch wirkten, nur mehr Ahnungen von Wandbemalungen und Einlegearbeiten, düster und verschwommen in der Nacht. Automatisch prägte sich Winston den gesamten Weg ein, markante Punkte und Wegbiegungen. Das Deckengewölbe wich erneut dem freien Sternenhimmel, und sie standen in einem nächtlichen Garten.

3
      W inston hatte viele Geschichten gehört von unendlich verschachtelt gebauten Rajputenpalästen, jahrhundertealt, mitten in der Wüste auf unterirdischen Brunnen errichtet, und hatte sie immer als Lügenmärchen abgetan oder zumindest für reichlich übertrieben gehalten. Aber was er in dieser Nacht hier zu Gesicht bekam, übertraf noch die farbenprächtigsten Märchen.
    Der Duft nachtblühender Tuberosen lag schwer in der Luft. Silbern ergoss sich das Licht der Sterne und der runden Mondscheibe in den quadratisch angelegten, großzügig bemessenen Hof, ließ das weiße Muster der Bodenkacheln aufstrahlen und die Marmorschale des Brunnens in der Mitte, aus dem eine Wasserfontäne glucksend emporsprudelte, zeichnete die Silhouetten von dicht belaubten Sträuchern und Bäumen nach, ließ in den blassen Grautönen der Blüten einen Hauch von Farbe

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