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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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auch von der Brutalität und Willkür, mit der sie den Schwarzen ihre Macht und Überlegenheit bewiesen, hatte er sich immer abgestoßen gefühlt. Dennoch hatte er ebenso wenig zu jenen Romantikern gehört, deren Bild von Indien das eines exotischen Paradieses war. Er hatte Indien immer gleichgültig gegenübergestanden, ohne jegliche Emotion. Indien war für ihn ein Land, das Teil des britischen Empires war, ohne dass er sich je Gedanken über die Berechtigung dieses Zustands gemacht hatte. Es war eine Tatsache, die er hinnahm, ohne sie zu hinterfragen, ebenso wenig wie seine Aufgabe, ein winziges Rädchen in der Maschinerie zu sein, die diesen Zustand Tag für Tag aufrechterhielt. Alles, worauf er sein Augenmerk richtete, war, seinen Dienst so gut wie möglich zu versehen, dabei Schritt um Schritt die Karriereleiter emporzuklettern und sein Glück zu machen.
    An dieser Einstellung änderte sich auch nichts, aber er begann, der Geschichte des Landes, seiner Menschen und ihrer Kultur seinen Respekt zu zollen.
    Im Gegenzug sog Mohan Tajid begierig alles auf, was Winston von England erzählte, von Technik und Wissenschaft, von Geschichte und Volksglaube, löcherte ihn mit Fragen nach jenem fernen Land, dessen Tradition und Kultur er nur aus Büchern kannte und aus dem trockenen Unterricht seines englischen Hauslehrers, der im Auftrag des Rajas dessen Söhne Sprache und Gebräuche ihrer Feinde gelehrt hatte, damit sie sie mit ihren eigenen Waffen schlagen konnten.
    Winston fand selbst, dass er sich wacker hielt in den wenigen durbars , die ihm der Raja gewährte. Während der zarte Klang der Saiten einer sitar auf- und abschwoll, manchmal unterlegt von den dumpfen Schlägen der tabla , servierten liebreizende Dienerinnen scharfe, würzige und süße Köstlichkeiten, Winston unter gesenkten Wimpernbögen verzehrende Blicke zuwerfend. Und auch wenn es ihm schwer fiel, konzentrierte er sich ganz auf Dheeraj Chands Worte, Gesten und Blicke, begann ein Gespür dafür zu entwickeln, drohende Fallen und Spitzen rechtzeitig zu wittern und ihnen elegant auszuweichen, jegliche Anspielungen oder Fragen nach seinem Auftrag und den Absichten der Krone zu umschiffen. Er lernte, höflich und gleichzeitig unverbindlich zu reagieren, ohne die Autorität der Königin und der East India Company in Frage zu stellen, wenn der Fürst ihm seine Macht demonstrierte, indem er ihn durch die prunkvollen Säle des Palastes führte oder ihm von einer Mauerzinne aus einen Eindruck über die Ausdehnung seines Herrschaftsgebietes bot, wenn er einer Vorführung der Kampfkünste der Krieger beiwohnte, wenn Chand ihn mit teuren Geschenken zu bestechen suchte.
    Einmal fand er bei seiner Rückkehr einen völlig aufgelösten Bábú Sa’íd vor, der sich ein hitziges Wortgefecht mit einer furienähnlichen, nur notdürftig in einen durchscheinenden Sari gehüllten, ausnehmend schönen jungen Dame lieferte, die – wie sich rasch herausstellte – vom Raja als Leihgabe an Winston für die Nacht gedacht war. Sie trollte sich beleidigt, als Winston ihr bedauernd erklärte, dass er diese Ehre zwar zu schätzen wisse, er aber in Kalkutta verlobt sei und es in seinem Kulturkreis als höchst unehrenhaft gälte, dann noch körperliche Beziehungen mit anderen Frauen zu unterhalten. Eine Einladung zur Jagd lehnte Winston mit der Begründung ab, dass sein eigenes Pferd eine Schande für die stolzen Araber des Fürsten sei und seine eigenen Reitkünste nur für englische Schlachtrösser taugten, nicht aber für diese edlen Tiere; ebenso wie er seiner Königin Schmach bereiten würde, träte er mit seinen stümperhaften Fähigkeiten zu einer Partie Schach gegen den Raja an. Er sah dem Fürsten an, dass er ihm kein Wort glaubte, aber er sah auch den kleinen Funken Achtung für Winstons Gewandtheit und List in Chands Augen aufblitzen, und er hatte das Gefühl, dass Chand ihn allmählich ernst zu nehmen begann.
    Dennoch war er dem Ziel seines Aufenthaltes, zumindest ein sachliches diplomatisches Gespräch mit dem Fürsten zu führen, kein Stück näher gerückt, und die ständige Vorsicht und Verstellung, das Bewusstsein der Bedrohung, die permanent über ihm schwebte, begannen ihn zu zermürben.
    Obwohl er wusste, dass er Mohan Tajid heute Nacht nicht treffen würde, schlug er dennoch den vertrauten Weg in den Garten ein. Der Innenhof war für ihn der einzige Platz im Palast geworden, an dem er sich in Sicherheit wiegen, frei atmen konnte, ohne sich beobachtet oder

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