Himmel über Darjeeling
traf dort Rama. Rama erzählte ihm von der Entführung seiner geliebten Frau Sita durch den Dämonen Ravana und dass er auf der Suche nach ihr sei. Tief bewegt von dieser Geschichte erkannte Hanuman, dass er vom Schicksal als Diener Ramas auserkoren worden war, und versammelte eine Armee um sich. Diese Armee konnte Ravana und Sita nicht finden, doch Hanuman entdeckte Ravanas Versteck. Er nahm die Gestalt eines gewöhnlichen Affen an, um den Heerscharen mächtiger Dämonen zu entkommen und so in Ravanas prächtigen Palast zu gelangen. Er fand dort Sita, die betrübt im Garten saß, von Dämonen bewacht. Hanuman verließ sein Versteck, ging zu ihr und gab ihr einen Ring Ramas. Er erzählte ihr, dass Rama ohne sie untröstlich sei, und bot ihr an, sie auf den Rücken zu nehmen und mit ihr wegzufliegen. Doch Sita lehnte aus Achtung vor ihrem Mann ab, da sie ihn entehrte, würde ein anderer als er sie retten.
So stürzte Hanuman sich in den Kampf mit dem Dämonenkönig, zerstörte die Stadtmauern und vernichtete Tausende Dämonen. In diesem Kampf setzte Ravana Hanumans Schwanz in Brand, doch dieser nahm riesenhafte Gestalt an und entzündete mit den Flammen Havanas Stadt. Er kehrte zu Rama zurück und berichtete ihm, Sita gefunden zu haben. Hanuman und seine Affenarmee zerstörten Ravana und sein Reich, und Rama konnte Sita befreien. Hanuman ist das Sinnbild für die Hingabe des Dieners an seinen Herrn und die des Gläubigen an sein ishta .«
Die Geschichte des Affengottes und der Name der Heldin, der dem Sitaras so ähnlich war, ließen ihn zu ihr hinsehen. Stolz erwiderte sie seinen Blick, stolz auf sich und auf das, was sie getan hatte, und gleichzeitig standen darin so viel Liebe und ein wenig Furcht, dass Winston sich unendlich beschämt und gleichzeitig von Wärme durchflutet fühlte. Arm in Arm betteten sie sich zur Ruhe, für ein paar wenige Stunden, ehe die ersten Betenden im Morgengrauen den Tempel aufsuchen würden, unter den wohlwollenden Augen Hanumans, des Kämpfers für die Liebenden, und unter seinem Schutz.
Winston blinzelte in das fahlblaue Morgenlicht, das sich durch die Bogenfenster in das Innere des Tempels stahl und das goldene Licht der letzten, langsam verlöschenden Öllampen schmutzig wirken ließ. Von weit her klangen die Rufe der Muezzins zu ihm, die von den Minaretten der Stadt die Gläubigen zu den Morgengebeten riefen. Es brauchte ein paar Herzschläge, bis er wusste, wo er war, was ihn hierher geführt hatte, und die Erinnerung an die Ereignisse der vergangenen Nacht trafen ihn wie ein Schlag in den Magen. Sein Körper schmerzte vom Liegen auf dem harten Steinboden, und er spürte, wie Sitaras warmer Leib sich im Schlaf an ihn drückte. Doch noch etwas anderes dämmerte in seinem Gedächtnis herauf, schemenhafte Bruchstücke eines Traumes, die in ihm ein Gefühl der Sehnsucht und Freude hinterlassen hatten. Wenn er sich nur erinnern könnte, was es gewesen war … Er fuhr auf und rüttelte Mohan Tajid an der Schulter, der sofort hellwach war und sich aufsetzte.
»Saharanpur«, warf er ihm an den Kopf, und als Mohan nur verständnislos die Stirn runzelte, setzte er aufgeregt hinzu: »Dort lebt ein Freund von mir. Er wird uns helfen!«
Mohans Miene zeigte Skepsis, aber gleichzeitg glomm ein Funken Abenteuerlust und Vergnügtheit in seinen Augen auf.
»Endlich beginnst du, mitzudenken …«
Zu Fuß ließen sie sich vom morgendlichen Strom der Menschen durch die Gassen treiben, in Richtung der Stadtmauer, ohne sich noch einmal umzudrehen, und keiner wagte es, den Tod der beiden Rajputenkrieger anzusprechen, und zu Fuß, klein und demütig, verließen sie die Stadt durch das Tor, durch das sie sie einen Tag zuvor so hoffnungsvoll zu Pferd betreten hatten.
Ein freundlicher Bauer nahm sie ein Stück auf seinem rumpeligen Ochsenkarren mit, gen Norden, und es fiel ihnen schwer, nicht sehnsüchtig zu der im Sonnenlicht kupfern glänzenden Stadtmauer hinzusehen, die an ihnen vorüberzog, innerhalb deren sie Schutz gesucht hatten und die für sie eine so herbe Enttäuschung bedeutet hatte, sondern stattdessen ihre Hoffnungen erneut ins Blaue hinein zu richten.
9
E s war ein beschwerlicher Weg. Lange Strecken wanderten sie zu Fuß, nächtigten mit schmerzenden Gliedern unter freiem Himmel. Eine Kamelkarawane nahm sie von Baghpat nach Kandhla mit, sorgte dafür, dass sie dort für die Nacht ein Dach über dem Kopf und frische Kleidung bekamen. Für einen heillos überteuerten Preis konnten
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