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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Bart schrundig und sonnenverbrannt.
    »Winston?«, fragte William Jameson zögerlich, ebenso verblüfft wie glücklich, und im nächsten Augenblick fühlte sich der so Angeredete herzlich in die Arme geschlossen, bekam freudig den Rücken geklopft. Winston schloss für einen Augenblick die Augen, und es kostete ihn alle Kraft, nicht in unmännliche Tränen auszubrechen, denn die Umarmung des Freundes war das erste Altvertraute in den vergangenen Wochen, die nur aus Unbekanntem, Abenteuer und Gefahr bestanden hatten, und er verspürte die tief bewegte und zugleich matte Freude eines erschöpft Heimgekehrten.
    »Komm rein und nimm erst mal ein Bad, dann setzen wir uns bei einer Tasse Tee zusammen, und du erzählst mir alles«, schlug William herzlich vor und fügte mit einem Blick auf Mohan und Sitara, die sich im Wagen aufgesetzt hatte und aus von dunklen Ringen umrandeten Augen ihre neue Umgebung furchtsam musterte, hinzu: »Masud wird die beiden im Dienstbotenquartier unterbringen.«
    Winston setzte zu einer klärenden Korrektur an, doch Mohan nickte ihm unmerklich zu und schickte sich an, Sitara aus dem Wagen zu heben und dann dem mürrisch dreinblickenden Chefgärtner zu folgen. Williams Arm um seine Schultern gelegt, ließ sich Winston über den Kiesweg zu dem einstöckigen Bungalow unter seinem niedrigen Strohdach führen – ein einfaches, kleines Haus, aber Winston erschien es verlockender als alle fernen Paläste Rajputanas.
    Gebadet und rasiert, in von William geliehener Kleidung, die ihm reichlich knapp am Leib saß, fühlte sich Winston endlich wieder menschlich, endlich wieder englisch, als er sich im Sessel gegenüber Willam niederließ, in einem Raum, der voll gestopft war mit Büchern, Geschirr, Andenken an die ferne Heimat, einem Schreibtisch, der über und über bedeckt war mit beschriebenen Bögen voller Notizen und gepressten Pflanzenteilen, die noch zu beschriften und katalogisieren waren. Er war Wohn-, Ess- und Arbeitszimmer zugleich und wirkte dadurch gleich dreifach heimelig.
    Hungrig und beinahe alle guten Sitten vergessend machte er sich unter den wachsamen Augen seines Freundes über die dick belegten Sandwiches und den saftigen Teekuchen her, stürzte eine Tasse Tee mit Milch nach der anderen hinab, ehe er sich nach dem letzten verputzten Krümel mit einem beinahe schmerzhaften Völlegefühl im Sessel zurücklehnte. William griff nach dem Tabaksbeutel und begann umständlich seine Pfeife zu stopfen. Als der Tabak glomm und er genießerisch daran zu ziehen begann, sein kantiges, gebräuntes Gesicht halb hinter einer dichten Qualmwolke verschwand, ergriff er das Wort.
    »Dann schieß mal los.«
    Als Winston geendet hatte, sog William noch einige Augenblick lang am Mundstück seiner Pfeife, ehe er bemerkte, dass sie schon vor geraumer Zeit ausgegangen war. Schweigend beugte er sich über den Tisch neben seinem Sessel, klopfte die Pfeife im Aschenbecher aus, stopfte sie erneut, noch langsamer diesmal, mit grüblerischer Miene, und angstvoll beobachtete Winston ihn dabei.
    William Jameson war zwei Jahre jünger als er, doch durch seine Schlankheit und seine verschlossene, ernsthafte Art wirkte er gleich alt, wenn nicht älter. Er war in Schottland, in Leith, zur Welt gekommen und in einer Familie von Akademikern groß geworden. Herb wie die Hochmoore des Landes waren auch seine Gesichtszüge unter dem schon schütter werdenden dunkelblonden Haupthaar, und seine grauen Augen schienen den oft so trüben Himmel über Schottland widerzuspiegeln. Doch Winston hatte ihn auch als einen Mann von Humor, ja Witz erlebt, wenn sie unter sich gewesen waren, als jemanden, mit dem zusammen man bis zum Umfallen trinken konnte und der dabei nie ausfällig wurde, dem Freundschaft eines der höchsten Güter war, und bangen Herzens wartete er nun auf die Reaktion seines Freundes, inständig hoffend, dass er sich nicht in dessen Loyalität getäuscht haben mochte.
    William blies den Rauch in den Raum hinein und lehnte sich in seinem Sessel zurück, Winston nun gleichfalls eindringlich musternd.
    »Ich nehme an«, ließ er sich schließlich mit einem kleinen Räuspern vernehmen, »du weißt selbst, in was für einen verdammten Schlamassel du dich da hineingeritten hast.«
    Winston wurde rot bis unter die Haarwurzeln, sagte aber nichts.
    »Aber ich kann dich dahingehend beruhigen, dass du nicht gesucht wirst«, fuhr William fort, setzte sich bequemer zurecht und schlug die Beine übereinander, »nicht mehr jedenfalls.

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