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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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war es, die den drei Flüchtigen zur unsichtbaren Barriere wurde. Argwöhnisch wurden sie von einem thanadar nach dem anderen gemustert, als sie von Tor zu Tor zogen. Mal war es ihre offensichtliche Erschöpfung, ihre einfache Erscheinung, die ein ablehnendes Kopfschütteln hervorrief; meist jedoch war es die Anwesenheit des schmutzigen, abgerissenen Sahibsmit der hellen Haut und den blauen Augen, die darüber entschied, dass ihre Bitte um Einlass in den thana mit einem entschiedenen »Nahîñ!« beantwortet wurde. Selbst die Münzen, die Mohan mal demütig, mal stolz fordernd dem thanadar hinhielt, um ihre Zahlungsfähigkeit zu beweisen, halfen nicht, verstärkten manchmal sogar noch den Argwohn, der ihnen entgegenschlug, und selbst das Ansuchen, der schwangeren Frau ein Obdach zu geben, wurde abschlägig beschieden.
    Die Sonne überschritt den Zenit, sank schließlich rotglühend hinter der westlichen Stadtmauer hinab, warf ein grelles Licht über das Rote Fort, das seine Mauern wie in Blut getaucht scheinen ließ. Bald würden sich die Stadttore schließen, und noch immer hatten sie keine Bleibe für die Nacht.
    Ratlos und müde saßen sie auf ihren Pferden, als die Dämmerung über den Himmel herangekrochen kam und ihnen wieder das Tor zu einer thana unfreundlich vor ihren Nasen zugeschlagen worden war. Beinahe die ganze Stadt hatten sie an diesem Tag innerhalb der Festungsmauer umrundet und waren in Sichtweite des Tores, durch das sie am Morgen Delhi betreten hatten.
    Sitara blickte sich um, und ihr Blick fiel auf einen blinden Greis, der sich gebückt und schlurfend die Mauer entlangtastete, seine Bettelschale unter den dürren Arm geklemmt. Ein Schauder durchlief sie, den sie nicht zu unterdrücken vermochte.
    »Hier ist kein Platz für uns«, sagte sie leise. »Diese Stadt ist von einem Hauch des Todes durchzogen.« Bittend, fast verzweifelt sah sie von ihrem Bruder zu Winston. »Lasst uns fortgehen, hier kann ich nicht bleiben!«
    »Gut«, nickte Mohan, »aber heute Nacht brauchen wir dennoch ein Obdach, auf der Straße machen wir uns noch verdächtiger.« Er stieg ab und sprach den alten Bettler auf Urdu an. » Mihrbânî karke , bitte – yahâñ dharamsala kahâñ hai? «
    Der alte Mann antwortete kaum hörbar mit einer vor Alter und Schwäche heiseren Stimme, seine toten Augen auf Mohan gerichtet, und dieser bedankte sich, indem er dem Greis einige Münzen in die klauenartigen Finger drückte.
    »Und?« Winston sah Mohan erwartungsvoll an, als dieser sich wieder in seinen Sattel schwang.
    »Nicht weit von hier gibt es eine Herberge für Pilger. Hoffentlich kommen wir dort unter.«
    Sie ritten die breite Kuchah Qamr ad-din Khan entlang, die von der hohen Sandsteinmauer wieder in Richtung Stadtmitte führte, und das Klappern der Hufe in den sich rasch leerenden Straßen klang ihnen verräterisch laut in den Ohren. Die Straße öffnete sich zu einem halbmondförmigen Platz mit einem tröstlich plätschernden Springbrunnen, und an dessen Ende, im spitzen Winkel zweier aufeinander treffender Straßen, befand sich die Herberge, deren Lichter sie willkommen zu heißen schienen.
    Und sie waren willkommen, einfache, erschöpfte Leute unter den anderen abgerissenen, von weither gereisten Pilgern, die die in der Stadt verstreuten Tempel verschiedenster Hindu-Gottheiten aufsuchen, beten, opfern und Segen erbitten wollten. Im Trubel zwischen sadhus , Greisen, jungen Bauern und deren Frauen, quietschenden oder plärrenden Kindern achtete niemand genauer auf die drei Neuankömmlinge, die gegen ein paar Rupien den übervollen Schlafraum im hinteren Teil des Erdgeschosses betraten, niemand sprach sie an, niemand stellte Fragen. Nachtruhe war ein Fremdwort; auf den einfachen Strohsäcken schliefen erschöpfte Reisende zwischen umhertollenden Kindern, tratschenden Frauen und Männern, die sich um ein einfaches Würfelspiel scharten, während einzelne fromme Menschen sich in ihre Gebete versenkten.
    Winston starrte, auf seinem Lager an der Wand ausgestreckt, eine Weile in den Raum hinein, in einem Gefühl absoluter Unwirklichkeit, und ihm wurde bewusst, dass all die vergangenen Wochen wie ein Traum gewesen waren. Nichts hätte weiter von seinem bisherigen Leben entfernt sein können als das, was er in kürzester Zeit erlebt hatte. Wie bin ich nur hierher geraten?, ging es ihm noch durch seinen müden Kopf, ehe er Sitaras warmen, rundlich gewordenen Leib an sich geschmiegt spürte und ihn der Schlaf in wohltuende Schwärze

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