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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Deine Kompanie hat sich aufgrund meiner Briefe unter deinen Besitztümern in der Kaserne an mich gewandt, als sie so lange nichts von dir gehört und gesehen haben, und als ich Wochen später aus Sorge um dich noch einmal schriftlich nachfragte, wurde mir mitgeteilt, du gältest als vermisst. Sie halten dich für tot, Winston, auch wenn die offizielle Erklärung erst in ein paar Monaten oder Jahren folgen wird.«
    Winston starrte wie betäubt vor sich hin. Es war eine Sache, eigenhändig alle Brücken hinter sich abzubrechen und auf und davon zu gehen – eine andere aber war es, offiziell nicht mehr zu existieren, aus den Dokumenten der Lebenden getilgt zu werden. Nicht im Traum hatte er daran gedacht, in den Dienst der Army zurückzukehren, doch zu wissen, dass es für den Fall der Fälle ein winziges Hintertürchen gäbe, hatte ihm ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Er würde aus den Listen der Armee gestrichen, seine Familie würde benachrichtigt werden und in einer Überseekiste seine wenigen Habseligkeiten erhalten, seinen Verlust beklagen und um ihn trauern, einen Gedenkstein auf dem Friedhof errichten lassen. Er würde für immer zu denjenigen gehören, die ihr Leben in treuem und aufrichtigem Dienst für England und die Krone gelassen hatten – ein Held sein, und es erschien ihm unter diesen Umständen als äußerst zweifelhafter Ruhm. Doch mit jedem Tag, der verstrich, schwand die Wahrscheinlichkeit, dass ihm eine Geschichte über Gefangenschaft und Irrwege durch Indien geglaubt würde – und auf Fahnenflucht stand der Tod. Für welche Alternative er sich auch entschied: Es erwartete ihn der Tod, physisch oder nominell. Nun erst begriff er, dass er von der Begegnung mit William eine Lösung erwartet hatte, die weniger radikal war, die ihm den Weg zurück in ein Leben ebnete, das zumindest teilweise seinem früheren ähnelte. Aber die Würfel waren gefallen, die Entscheidung getroffen, und es gab keinen Weg zurück.
    Ratlos sah er William an, der schweigend gewartet hatte, bis Winston sich mit dem ganzen Ausmaß der Konsequenzen seiner Handlungen vertraut gemacht hatte.
    »Versteh mich nicht falsch, Winston«, ergriff er nun wieder das Wort, »ihr könnt hier ein paar Tage bleiben, bis ihr euch etwas erholt habt, aber dann muss meine Gastfreundschaft leider enden – zu unser aller Sicherheit. Saharanpur ist ein Nest, Soldaten sind hier stationiert, und ich bekomme oft Besuch von Beamten der Asiatic Societyoder der Regierung und von anderen Botanikern, die an meiner Arbeit interessiert sind. Eine Zeit lang mag es gutgehen, aber die Gefahr ist zu groß, dass deine Tarnung irgendwann auffliegt, und dann bist du dran. Ich meinerseits lege keinen Wert darauf, eines Nachts von bis an die Zähne bewaffneten Kriegern geweckt zu werden, nenn mich feige oder nicht. Zudem beabsichtige ich bald zu heiraten, und – mit Verlaub – meiner Verlobten ist es vielleicht nicht unbedingt zuzumuten, nach unserer Hochzeit mit einem fahnenflüchtigen Soldaten und seiner indischen Geliebten unter einem Dach zu wohnen.« Er machte eine kleine Pause »Du weißt, dass ich eurer – hm – Beziehung skeptisch gegenüberstehe?«
    Winston nickte und hätte beinahe laut aufgelacht, als er sich daran erinnerte, dass er ein paar Monate zuvor ähnlich gedacht hatte – bis jene eine Nacht im Garten von Surya Mahal alles veränderte.
    »Es ist nicht«, fuhr er bedächtig fort, »weil ich die indische Bevölkerung für minderwertig halte oder der Meinung bin, die Rassen sollten sich nicht mischen – aber du weißt, ich bin Pragmatiker, und ihr werdet nirgendwo mehr zugehörig sein, und nach euch eure Kinder und Kindeskinder. Beide Seiten werden euch als Ausgestoßene behandeln, und selbst wenn die Gesellschaften fortschrittlicher wären: Ihr kommt aus unterschiedlichen Kulturen, mit unterschiedlichen Weltbildern und Religionen. Mach dir bitte nicht vor, das böte keinen Grund für tiefgreifende Konflikte.«
    »Spar dir deine Predigt bitte für den Sonntag auf«, erwiderte Winston, und seine matte, belegte Stimme nahm seinen Worten jegliches Gift.
    Ein Grinsen flog über Williams Gesicht, bevor er wieder eine ernste Miene machte.
    »Ihr müsst weg, so schnell ihr könnt, und so weit weg ihr könnt. Und so weit es mir möglich ist, will ich euch dabei helfen.«
    »Was schlägst du vor?«
    Winston ließ eine Kette dichter kleiner Rauchwölkchen auf Winston zusegeln.
    »Eine meiner Aufgaben als Superintendent dieses Gartens besteht darin,

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