Himmel über Darjeeling
Tal, wellten sich, senkten sich wieder, umflossen dichte Wälder, und im Licht der Nachtmittagssonne glitzerten die Bäche, die durch das Grün hindurchsprudelten. Grün und braun waren die kleinen Felder der Bauern aneinander gesetzt, dazwischen üppige Obsthaine, die die letzten Früchte des Jahres trugen, und wie ein leicht gekräuseltes Meer schmiegten sich die Reisfelder in die Umgebung. Im Norden ragte die Kette der Dhauladhars empor, der »Weiß tragenden Berge«, in all ihrer Herrlichkeit und Würde, bläulich schimmernd unter ihrem weißen Guss, und darauf ruhte ein weiter blauer Himmel, über den sich zerfaserte Wolken zogen.
»Ist das schön«, murmelte Sitara, ihre Augen über das liebliche, weiblich anmutige Tal schweifen lassend.
»Kangra«, ergänzte Mohan Tajid leise, fast ehrfüchtig, »das Tal der Freude …«
Sie sahen sich lächelnd an, alle drei, und lenkten die Pferde weiter in das Tal hinein.
Ein verlassener Rajputenpalast, teilweise verfallen, auf einer Anhöhe unweit eines kleinen Dörfchens, inmitten von Wiesen und Feldern, wurde ihr neues Zuhause, mit dem ihn umgebenden Boden vom zamindar des Landstriches für einige Dutzend lakhs im Jahr gepachtet. Die Menschen des Tales – ein gleichmütiger, fröhlicher Menschenschlag, unbeeindruckt vom politischen Geschehen, das allein auf der weit entfernten Festung des Rajas stattfand – begegneten den Neuankömmlingen mit unverhohlener, aber wohlwollender Neugierde, und das Aufsehen, das ihre Ankunft erregt hatte, legte sich rasch wieder. Und wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und die Wasseroberfläche kräuselt, schon wenig später vom erneut glatten Spiegel nicht mehr verraten wird, so verschwanden auch Sitara, Mohan und Winston zwischen den Hügeln und Bergen, die das Tal umgaben, als hätten sie nie anderswo gelebt.
Die äußeren Gemächer des Palastes waren nur mehr Ruinen, doch die inneren Räume, vor allem die der zenana , um einen geräumigen Innenhof gelegen, waren noch instand. Dennoch vom Zahn der Zeit beschädigte Stellen wurden von Winston und Mohan ausgebessert, ebenso wie die alten Möbel, die zum Teil von ihren früheren Besitzern zurückgelassen worden waren. Eine Frau aus dem Dorf, Mira Devi, war nur zu gern bereit, für wenige annas Sitara zur Hand zu gehen, die trotz ihrer zunehmenden Leibesfülle eifrig darauf bedacht war, wenigstens die Zimmer auszufegen und halbwegs wohnlich herzurichten, ehe sie niederkam. Fast alles, was sie brauchten, konnten sie für ein paar Münzen im Dorf erwerben: Töpfe, Schüsseln, Löffel, einen Kessel, Wäsche und Kleidung; und was sie dort nicht bekamen, ließ Mira Devi von einem Verwandten oder Nachbarn bei Gelegenheit aus der nächstgrößeren Stadt mitbringen.
Der Dezember brachte einen trockenen und schneidend kalten Wind aus dem Norden, doch die alten Mauern trotzten ihm standhaft, und der Herd in der Küche, an dem Sitara und Mira Devi jede in ihrer mundartlichen Version des Hindustani schwatzten und lachend kochten, und der offene Kamin, an dem sie abends alle oft zusammensaßen, während Mira Devi und Sitara Kissen, Decken und Kindersachen nähten, verbreitete wohlige Wärme. Nach kurzer Zeit überließ Mira Devi ihr Haus im Dorf ganz ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter und zog in die kleine Kammer, die an die Küche angrenzte.
Es war ein ungewöhnlich kalter Winter, und schon bald fiel Schnee, der über das Tal eine dünne weiße Decke warf, die alles still und ruhig werden ließ. Und auch über das neue Zuhause legte sich eine Stille, nur durchbrochen von Mira Devis murmelnder Stimme, wenn sie am Feuer über ihrer Näharbeit die alten Geschichten des Tales erzählte, die kathas , Geschichten von Abenteuern, voller Wunder. »Es liegt Weisheit in diesen Geschichten«, erklärte sie in ihrer Kangri-Mundart, »es sind Geschichten über die Liebe. Sie handeln von moha , irrlichternder Verblendung, von mamata , besitzergreifender Anhänglichkeit, und von prem , nährender Zuneigung.« Sie erzählte von einem König, den eine schöne Dämonin betörte, einer Mutter, die sich um ihre unverheiratete Tochter sorgte, einer in Armut lebenden Schwester, die ihr kärgliches Mahl mit einem mysteriösen Besucher teilte, einer Frau, die aus ihrem Fuß einen Frosch gebar, der zum Prinzen wurde; sie erzählte von Prinzessinnen und Prinzen, von Königen und Kaufleuten, von bösen Stiefmüttern und hinterhältigen Priestern, von tapferen Helden und tugendhaften Jungfrauen, bis
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