Himmel über Darjeeling
Mann schließlich leise, mit heiserer Stimme, »was mir der Glaube, was uns die Gesetze der Ahnen vorgeschrieben haben.«
»Ich weiß«, antwortete Mohan Tajid mit belegter Stimme. Er kannte seinen Vater, und er wusste, seine Worte waren der Versuch einer Rechtfertigung, eine Bitte um Verzeihung, wenn Dheeraj Chand auch zu stolz war, es so zu formulieren.
Der alte Chand nickte nachdenklich vor sich hin, ehe er seinen Sohn ansah. »Werdet ihr bleiben?«
»Wir wissen nicht, wohin«, sagte Mohan Tajid angestrengt und zupfte an der Bandage seines Armes herum.
Sein Vater nickte wieder und erhob sich.
»Es ist immer gut, zu den Wurzeln seiner Ahnen zurückzukehren.«
Er machte sich daran, den Raum zu verlassen, und Mohan hatte ein wehes Gefühl im Herzen, als er dem alten Mann nachsah, der so müde wirkte, wie gebrochen, obschon er sich um eine aufrechte Haltung bemühte. Auf dem Weg zur Tür drehte sich der Raja noch einmal um.
»Wie heißt der Junge?«
Mohan zögerte kurz, entschied sich dann, Ians indischen Namen zu nennen. »Rajiv.«
Der alte Chand schien dem Klang dieses Namens zu lauschen, ehe er nickte.
»Ein guter Name für einen Krieger.«
Als die Tür sich leise hinter seinem Vater schloss, lehnte Mohan Tajid sich müde im Sessel zurück. Sein ganzer Körper schmerzte, und er fühlte sich erschöpft. Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, Ian hierher zu bringen – doch er wusste, er hatte keine andere Wahl gehabt.
17
A ls die Briten über Monate hinweg verzweifelt darum rangen, Indien der Krone zu erhalten, trafen nach und nach Truppen aus anderen Teilen des Empires ein, in Burma stationierte Soldaten, aus Persien, China und Mauritius die Highlander mit ihren Kilts und roten Bärten; im Herbst Regimenter aus Malta und Südafrika; schließlich ein Husarenregiment, das sich in Southampton einschiffte und im November Bombay erreichte. Im September fiel Delhi nach über zwei Monaten Belagerungszeit, und die Engländer feierten ihren Sieg mit Plünderung, Mord und Hinrichtung.
Die Strategie Dheeraj Chands, sich klug aus den Fangarmen des britischen Empires herausgewunden zu haben, hatte sich, zusammen mit der Abgelegenheit seines Fürstentums, bezahlt gemacht. Bis nach Jaipur schlugen die Wellen des Krieges, aber in den Steppen und Wüsten Rajputanas blieb es ruhig, und besonders Surya Mahal war eine der wenigen Inseln des Friedens, an denen der Sturm, der sein Zentrum im Gangestal hatte und dessen Ausläufer bis an die Grenzen des weiten Landes zu spüren waren, vorüberzog.
Und es war auch im September, in dem Ian endgültig in das Reich der Lebenden zurückkehrte. Die Leibärzte des Rajas, allen voran Amjad Das, hatten ihr Möglichstes getan und gute Arbeit geleistet: Wenn sein Arm und die Schulter auch dünn und bleich waren von den langen Wochen der Ruhigstellung, so waren die Wunden doch gut verheilt, würde er ihn wie seinen unverletzten gebrauchen können. Die Narben darauf würde er jedoch sein Leben lang behalten, wie auch die auf seiner Wange.
Als hätte Brahma mir meinen Neffen ein zweites Mal geschenkt, dachte Mohan an jenem Tag, an dem er das Krankenzimmer betrat und Ian ihn mit klarem, wachem Blick ansah.
»Wo sind wir?«, fragte Ian ihn statt einer Begrüßung.
»Im Palast von Surya Mahal«, antwortete Mohan. Er nahm einen Stuhl und setzte sich an das Bett. »Im Herzen Rajputanas. Hier sind – hier bin ich geboren und aufgewachsen.«
»Wo ist meine Mutter?« Ians Frage kam knapp und präzise, ohne Zögern, als ahnte er die Antwort.
Es war dieser Augenblick, vor dem Mohan Tajid sich jede Stunde gefürchtet hatte, die er am Lager Ians gewacht hatte. Er senkte den Blick und spürte, wie sich Ians Augen förmlich in ihn bohrten.
»Sie ist tot«, sagte Mohan leise. »Wie – wie deine Schwester.«
Als er den Blick hob, sah er, dass Ian in den Raum hineinstarrte, seine Augen, die nichts Kindliches mehr hatten, hart wie polierter Onyx. »Wie sind sie gestorben?«
»Es – es gab eine Explosion«, Mohan atmete tief durch, »als wir aus der Stadt zu fliehen versuchten. Genaueres weiß ich nicht.«
»Ich – ich erinnere mich an den Knall«, murmelte der Junge, und unwillkürlich strich er mit der unbandagierten Rechten über seinen Hals, als spürte er dort noch einen Abdruck der Klinge Bábú Sa’íds. »Und ich erinnere mich auch an die Wüste – an die Hitze.« Er hing seinen eigenen Gedanken nach, ehe er Mohan wieder fixierte. »Und mein Vater?«
Mohan schluckte und
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