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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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hätte aus ihm sogar ein großer Krieger werden können, mit der Zeit. Aber«, mit einem tiefen Ausatmen erhob er sich und tat ein paar Schritte auf Ian zu, »aber er war und blieb ein feringhi . Ein Weißer – ein Ungläubiger. Der dumm genug war, sich über Sitten und Gebräuche dieses Landes hinwegzusetzen und zu glauben, er bräuchte die Konsequenzen dessen nicht zu tragen. Damit hat er euch mit ins Verderben gerissen. Und das «, Ian zuckte zusammen, als der alte Mann leicht die verschorfte, langsam vernarbende Wunde auf seiner Wange berührte, »wird dich immer daran erinnern.« Er betrachtete prüfend den Jungen. »Ich würde zu gerne sehen, wie viel von einem echten Rajputen in dir steckt – ob du deiner Ahnenreihe würdig bist. Es ist mein Blut, das in deinen Adern fließt, fürstliches Blut. Aber ich werde nie vergessen, dass es durchmischt ist mit dem des feringhi , der so viel Schande über uns gebracht hat, dass du das Kind einer unreinen und ungeheiligten Verbindung bist. Und du«, er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf und trat einen Schritt zurück, »du tust gut daran, es ebenfalls nie zu vergessen.«
    Schwerfällig ließ er sich wieder in seinem Sessel nieder. »Du bist mein Enkel – aber du bist auch ein Bastard. Das ist das Erbe, das dir deine Eltern hinterlassen haben. Vergiss das nie.«

18
      F ast anderthalb Jahre lang brauchte es, ehe das Land allmählich wieder zur Ruhe fand. Die Scharmützel wurden seltener, wenn auch erst im Juli 1859 offiziell ein landesweiter Friede erklärt wurde. Der Blutzoll, der für diesen Frieden bezahlt worden war, war auf Seiten der Kolonialherren gemessen an der Grausamkeit des Krieges erstaunlich gering gewesen; wie hoch er auf Seiten der Inder gewesen war, würde sich nie genau beziffern lassen. Aber Indien war nicht mehr dasselbe Land, das es zuvor gewesen war. Die Skelette der Opfer und ihre Gräber, Brandruinen, von Artilleriefeuer und Kanonenkugeln eingerissene oder vernarbte Bauwerke waren die sichtbaren Spuren, die dieser Krieg an der Oberfläche hinterlassen hatte. Noch viel tiefer waren die Wunden, die er in den Köpfen und Herzen der Menschen geschlagen hatte, die nur schwer verheilten und schmerzhaft vernarbten.
    Der Umgang der Briten war nun von einem tiefen Misstrauen den Indern gegenüber geprägt, von einem tief sitzenden Zorn, verletztem Stolz und Verachtung, während sich in der Seele Indiens eine hasserfüllte Bitterkeit festsetzte angesichts ihrer Niederlage und Demütigung. Am 1. November 1859 erklärte Königin Victoria, dass alle Autorität in Indien von nun an allein in den Händen der Krone liegen würde – die East India Company, ihre Beamten und Soldaten hatten ausgedient. So weit wie möglich wurde die zivile Bevölkerung entwaffnet, die Zahl der sepoys reduziert und das Verhältnis von Hindus und Moslems unter ihnen gut ausgewogen, um sie im Ernstfall gegeneinander ausspielen zu können. Die Artillerie ging gänzlich in europäische Hände über. Bahadur Shah wurde vor einem Militärgericht der Rebellion, des Verrats und mehrfachen Mordes schuldig gesprochen und verbannt, ebenso wie zahlreiche andere Fürsten und Herrscher, die sich gegen die Briten gestellt hatten. Lord Canning bekam zusätzlich zu seinem Titel des Generalgouverneurs den eines Vizekönigs. Jegliche Expansionspolitik wurde sofort gestoppt – die Festigung der Macht innerhalb der bestehenden Grenzen Kolonialindiens hatte oberste Priorität.
    Offiziell hieß es, dass nun wieder ganz Indien unter der Kontrolle der Krone stand. Stillschweigend wurde darüber hinweggesehen, dass es einige wenige Fürstentümer gab, die noch immer unabhängig waren, aber zu klein, zu unbedeutend und vor allem zu friedlich waren, um sie sich tatsächlich noch einzuverleiben. Das Risiko, eine erneute Welle des Unmuts zu provozieren, lohnte sich nicht für diese kleinen Flecken in der Weite Rajputanas, und so blieb das Fürstentum des Dheeraj Chand unverändert bestehen. Die Nachrichten vom Ende des Aufstandes, von den Neuerungen im Land – sie drangen zwar nach Surya Mahal, aber da sie keine Bedeutung für die Herrschaft Chands und das Leben dort hatten, erfuhren sie keine wirkliche Beachtung.
    Ian ausgenommen. Er verschlang jeden Zeitungsartikel, jede sonstige gedruckte Zeile über den S epoy -Aufstand oder die Mutiny , die Meuterei, wie die Ereignisse vom Mai 1857 und der folgenden Monate zusammenfassend nun genannt wurden. Und viel wurde darüber geschrieben, sowohl

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