Himmel über Darjeeling
Haar gleiten ließ und versuchte, Glanz und Geschmeidigkeit hineinzubringen. Sie starrte an ihrem Spiegelbild vorbei, aus Angst, was sie darin entdecken mochte. Der Tag war wie ein böser Traum an ihr vorübergezogen, und jede Stunde davon schien endlos gewesen zu sein. Wie eine steife Puppe hatte sie das Maßnehmen der französischen Schneiderin und ihrer Mädchen über sich ergehen lassen, die begeisterten Ausrufe über ihre große, schlanke Gestalt und ihre klare Haut, hatte hin und wieder abwesend genickt, wenn ihr ein Stoffmuster oder eine Spitze hingehalten worden war. Stumm hatte sie beim Dinner die Bissen Roastbeef mit der Gabel von einem Ende des Tellers zum anderen geschoben und Jasons aufgeregtes Geplauder über seine ersten Unterrichtsstunden bei Mr. Bryce, die die gröbsten Lücken seines Wissens wenigstens zum Teil schließen sollten, an sich vorüberziehen lassen.
Ohne anzuklopfen, trat Neville herein. »Guten Abend, Ladys.«
Helena stand hastig auf, während Margaret in einem tiefen Knicks versank. Es war Helena ein Rätsel, wie bereitwillig sich ihre eigensinnige Margaret Neville unterordnete und wie rasch sie sich den Gepflogenheiten dieses großen Hauses angepasst hatte, fast, als hätte sie all die Jahre nur darauf gewartet.
»Danke, Margaret«, nickte er ihr zu. Gehorsam verließ sie das Zimmer und schloss die Tür sacht hinter sich.
Er stand nur da und sah sie an, ewig, wie es ihr schien. Helena konnte ein leichtes Zittern nicht unterdrücken, schlang die Arme fest um sich, um Halt zu finden. Aus den Andeutungen Margarets und den Geräuschen, an die sie sich als Kind erinnern konnte, wenn ihre Eltern nebenan zu Bett gegangen waren, in den sternübersäten südlichen Nächten, wusste sie, dass es etwas Geheimnisvolles gab, was Männer und Frauen miteinander taten, doch eine genaue Vorstellung hatte sie nicht. Nur das, was Margaret ihr eingeschärft hatte, wusste sie: dass sie niemals etwas verweigern durfte, was ihr Mann von ihr verlangte.
Ohne ein Wort trat er auf sie zu, musterte sie genau, und wieder einmal konnte sie seinem Blick nicht standhalten. Er griff ihr unter das Kinn und zwang sie sanft, ihn anzusehen, und mit einem Ruck bog sie den Kopf zurück, aus ihren Augen Funken sprühend. Er lachte leise.
»Meine kleine Helena. Meine Wildkatze.« Ein neuer Ton lag in seiner Stimme, den Helena noch nie gehört hatte, ein halbes Seufzen, fast zärtlich, als er leicht mit dem Handrücken über ihre Wange fuhr. »Was soll ich bloß mit dir anfangen?«
Rasch packte er sie im Nacken und zog sie an sich, mit einem festen Griff, aus dem sie sich nicht entwinden konnte. Ihr entfuhr ein leiser Laut, und der einzige Halt, den sie fand, war an ihm. Sie spürte seine harten Muskeln unter dem weißen Hemd, die Wärme seines Körpers, und ein Teil von ihr wollte sich ihm entreißen, während ein anderer Teil sich einfach fallen lassen wollte, in was auch immer. Ihr Gesicht war so dicht an seinem, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Forschend blickte er in ihre Augen, als könnte er die Antwort einer unausgesprochenen Frage darin finden.
»Du brauchst keine Angst zu haben, kleine Helena. Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich es nicht nötig habe, einer Frau Gewalt anzutun. Irgendwann wirst du es auch wollen, das verspreche ich dir.«
Zart küsste er sie auf die Stirn, ehe er sie ebenso plötzlich losließ, wie er nach ihr gegriffen hatte, und verließ das Zimmer.
Ihre Beine versagten ihr den Dienst, und sie sank zu Boden, hilflos schluchzend. Ich kann das nicht, ich halte das nicht aus, keinen einzigen Tag länger …
Langsam stieg der dichte Rauch der Zigarette empor, löste sich allmählich auf und verlor sich in dem dunklen Gewölbe aus Holz, Messing und Samt über dem ausufernden Bett, dessen verschwenderische Masse von weißen Kissen, Laken und Decken einem sturmzerwühlten Ozean voller Gischt glich und Zeugnis trug von den leidenschaftlichen Kämpfen der vergangenen Stunden.
Lady Irene Fitzwilliam seufzte leise auf und schmiegte die Wange an die Brust des Mannes, der nicht der ihre war, spürte die Wärme der Haut, des dichten dunklen Haares darauf, lauschte aufmerksam dem sich wieder beruhigenden Schlagen dieses Herzens, das so leidenschaftlich glühen konnte und doch so kalt blieb und das sie so sehr zu besitzen suchte.
Sie sah auf, blickte forschend in die dunklen Augen, die ihr auf ewig ein Rätsel blieben, wie er selbst, dessen Lösung sie auch die Stunden
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