Himmel über Darjeeling
besonderes Vergnügen bereitet.
Er ging zum Kamin, dessen knisterndes Feuer eine angenehme Wärme verbreitete und nahm sich eine Zigarre aus der mit edlen Hölzern eingelegten Schatulle. Er zündete sie bedächtig an, ließ das Streichholz lässig in die Flammen fallen, zog ein-, zweimal daran, langsam und genießerisch, ehe er wieder das Wort ergriff.
»Wahrhaftig ein Unglücksfall. Ein über die Jahre heruntergewirtschafteter Grundbesitz in einer ökonomisch und landschaftlich uninteressanten Ecke Englands, Opfer der unabänderbaren wirtschaftlichen Entwicklung wie der Unfähigkeit einer ganzen Ahnenreihe von Besitzern. Die Idee, mit einer lukrativen Geldanlage die maroden Finanzen zu sanieren. Selbstverständlich gibt die Bank gegen Haus und Land als Sicherheit die benötigte Summe als Anleihe – doch leider platzt das Geschäft, Hunderte von Pfund gehen buchstäblich in Rauch auf«, genussvoll stieß er den bläulichen Qualm aus und ließ sich in einen der Sessel fallen, streckte gemütlich die Beine auf dem Tisch aus und legte den Kopf auf die Lehne. »Und all das weite, unfruchtbare Land und das große Haus gehören der Bank. Die Familie darf ihre Habseligkeiten packen. Das Übliche in solchen Situationen: kein anderer ehrenhafter Ausweg außer dem klassischen Unglück beim Reinigen der Pistole. Nach Jahrzehnten im Dienst der Armee, wo der Umgang mit der Waffe und deren Pflege von der Pike auf gelernt werden. Tragisch.«
Nachdenklich blickte er auf die Zigarre hinab, die er zwischen den Fingern hin- und herrollte. Er beugte sich vor, um die Glut der Zigarre in dem bereitstehenden Aschenbecher abzustreifen, ehe er sich wieder zurücklehnte.
»Eine ausnehmend hübsche, wenn auch etwas dumme Tochter. Vor nicht allzu langer Zeit ein kleiner und eher ungeschickt vertuschter Skandal. Ein Windhund hat ihr ein Heiratsversprechen entlockt und die Gans dann von heute auf morgen sitzen lassen. Derartiges sickert immer durch – kein Mann von Stand und Geld hat Interesse an angeschlagenem Porzellan. Die Mutter, dem Wahnsinn nahe, sucht Zuflucht bei Verwandten, die sie unwillig aufnehmen – ein solcher Schicksalsschlag hinterlässt einen Makel auf der gesamten Familie. Nun, vielleicht profitiert der einstige Erbe als Einziger vom Ausgang dieser Geschichte: Bislang verweichlicht und zu nichts nütze, wird er vielleicht durch ehrliche Arbeit im Schweiße seines Angesichts zum Mann reifen.«
Impulsiv stand Ian auf und trat nahe zu Helena, sah ihr tief in die Augen. Das Korsett stach ihr in die Rippen, als sich ihr Brustkorb rasch hob und senkte.
»Schau nicht so erschreckt. Es müsste für dich doch eine gewisse Zufriedenheit bedeuten, nach allem, was diese Familie dir angetan hat. Merk dir eines: Am Ende bekommen wir alle, was wir verdienen.« Ohne auf eine Entgegnung ihrerseits zu warten, drehte er sich um und ging.
Seine Worte, kühl, distanziert, machten ihr Angst. Doch noch mehr das, was sie in seinen Augen gesehen hatte: grausames Vergnügen und eiskalte Genugtuung.
An diesem Abend gelang es Helena nicht, sich auf die Schlaufen und Schnörkel zu konzentrieren, an ihrer Oberkante mit einer Linie zu Wörtern verbunden, die wie Bordüren über das Blatt liefen und für die weichen Konsonanten und Vokale des Hindustani standen. Wie schmiedeeiserne Zäune schienen sie ihr, unüberwindlich, ein Symbol für das bedrückende Gefühl der Einsamkeit und Angst, in dem sie gefangen war. Erst die Stille, die sich an den gleichmäßigen, sonoren Fluss von Mohan Tajids Stimme anschloss, die Worte in Englisch und Hindustani aneinander reihte, riss sie aus ihren leeren Gedanken. Schuldbewusst sah sie auf, doch in seinen dunklen Augen konnte sie keinen Tadel entdecken.
Nachdenklich ruhte sein Blick auf ihr. »Sie sind hier nicht glücklich.«
Unwillkürlich schossen Helena Tränen in die Augen, die sie vergeblich zurückzuhalten versuchte.
»Wie könnte ich das auch?«
Der Inder zog seine dunklen Brauen zusammen.
»Ich war gegen diese Heirat, aber ich konnte sie auch nicht verhindern. Es gibt kaum etwas, was man Ian Neville entgegenstellen kann, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Er hat den Willen eines Kriegers, stählern und scharf wie ein Schwert, das in Feuer geschmiedet und in Blut gehärtet
ist.«
Obwohl bei seinen Worten Helena ein Schauder überlief, weckte der Glanz von Stolz und Bewunderung in seinen Augen ihre Neugier.
»Sie kennen ihn schon sehr lange?« Ihre Frage klang wie eine Feststellung.
Ein
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