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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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intimster Vereinigung, denen sie monatelang in seiner Abwesenheit entgegenfieberte, nicht näher brachten. Sie blickten in die Ferne, waren auf einen imaginären Punkt jenseits ihres Schlafzimmers gerichtet, und eine Woge der Eifersucht durchflutete sie. Er hasste es, wenn sie ihn nach seinen Gedanken fragte, und so schwieg sie, um die gesättigte Stille dieses Nachmittags nicht zu stören, indem sie seinen so leicht zu entzündenden Zorn weckte. Sie wusste, sie war nicht die Einzige, die seine Gunst genoss – es war ein offenes Geheimnis, wenn auch alle Beteiligten Diskretion zu hoch hielten, als dass eine von der anderen wissen konnte, und jede glaubte, etwas Besonderes zu sein, diejenige, die endlich ein anderes Gefühl in ihm wecken würde außer der Leidenschaft, mit der er sie schwach und ihm zu Willen sein ließ.
    Er drückte die aufgerauchte Zigarette am Rand der Untertasse aus, die auf dem Nachttisch stand, und löste sich von ihr. Als er aufstand, nahm er alle Wärme mit sich, und Lady Irene fröstelte, obwohl sie vor wenigen Augenblicken noch geglaubt hatte, vor Hitze zu vergehen. Zitternd zog sie eines der zerknüllten Laken über sich. Ihr immer noch schlanker Körper schmerzte und brannte von seinen Küssen und Berührungen, die eine solche Lust in ihr erweckten, die sie nie für möglich gehalten hatte, von der sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierte, ehe sie ihm begegnet war.
    Selbst nackt strahlte Ian Nevilles Körper noch Würde aus, gänzlich anders als die träge Masse Lord Fitzwilliams, verfettet und verbraucht, halb lächerlich, halb Ekel erregend. Seine körperliche Attraktivität löste neues Begehren in ihr aus, so satt sie sich eben noch geglaubt hatte. Sie hasste ihn für die Macht, die er über sie besaß, und doch genoss sie es, sich dieser Macht zu beugen. Mit schmerzendem Bedauern sah sie zu, wie er die zerstreuten Kleidungsstücke, vorhin so hastig von sich gerissen, aufhob und sich wieder ankleidete.
    »Du warst zu lange in Cornwall«, sagte sie schließlich, in der Hoffnung, seinen Abschied hinauszuzögern, und sei es nur einige wenige Herzschläge lang.
    »Lange genug, um dort zu heiraten.«
    Wie betäubt sah sie ihm zu, wie er sich vor ihrem hohen Frisierspiegel die Krawatte band. Sie schluckte, um die plötzliche Trockenheit ihrer Kehle zu lindern, bemühte sich um einen leichten, scherzhaften Ton, der aber gequält klang. »Du und heiraten?«
    Prüfend zupfte Ian vor dem Spiegel die Krawatte zurecht.
    »Du weißt, ich bin immer für neue Erfahrungen offen.«
    Eifersucht flammte in Lady Irene auf, brennende Neugier auf diese unbekannte Frau, die sich den begehrtesten Junggesellen der Gesellschaft zwischen Plymouth und Kalkutta so heimtückisch unter den Nagel gerissen hatte. Was war sie – eine Sirene, eine Madonna? Was hatte sie, was keine von ihnen hatte?
    »Wie ist sie?«
    Seine Augen trafen sich im Spiegel mit den ihren, und sein Gesicht nahm einen nachdenklichen, gleichzeitig spitzbübischen Ausdruck an. Er rückte den Knoten noch einmal zurecht.
    »Ehrlich gesagt – ich weiß es nicht einmal so genau. Ein halbes Kind, mager, trotzig, ungebärdig, linkisch. Ohne Bildung und Manieren, aber sie reitet wie der Teufel. Mehr kann ich dir bislang auch noch nicht sagen.«
    Blinde, ungerichtete Wut überrollte sie, und ohne nachzudenken schleuderte sie ihm entgegen:
    »Und, hast du sie schon geritten? War sie gut? Wild genug?«
    »Deine Vulgarität ist abstoßend.«
    Lady Irene biss sich auf die Lippe und versuchte, ihren Fehler wieder gutzumachen. Gespielt spöttisch, den Kopf kokett schräg gelegt und eine gezupfte Augenbraue hochgezogen, fragte sie:
    »Du und ein Bauernkind von der Küste?«
    »Herausforderungen reizen mich.«
    Eine beklemmende Stille. Ihre Stimme, die heiser klang. »Liebst du sie?«
    Ian schlüpfte in seine Weste. »Sei bitte nicht albern.«
    Mitleid mit der unbekannten Rivalin erfüllte sie plötzlich, unerklärlich. Eine junge, unerfahrene Frau, ihr Leben lang an der Seite dieses Mannes ohne Gefühl, kalt und berechnend, sei er auch noch so faszinierend und reich wie ein Nabob – selbst ihr Schicksal schien dagegen glücklich zu sein. Leise, den Blick auf die weißen Laken gerichtet, sagte sie: »Du bist ein Teufel, Ian Neville. Du hast einfach kein Herz.«
    »Dieser Mangel hat dich bislang auch nicht gestört.«
    Sie sah ihn an, wie er sich lässig über die Weste fuhr, um eventuellen Staub zu beseitigen. Es durchzuckte sie, wie sehr sie ihn

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