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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Herrn wartete.
    »Schlechte Nachrichten?«
    Ian schreckte von den Zeilen auf und sah Helena für den Bruchteil eines Augenblicks verwirrt an, ehe er sich wieder fing.
    »Nein.« Die Bewegung, mit der er das Schreiben in der Faust zerknüllte, verriet kaum unterdrückten Zorn. »Ich muss allerdings sofort aufbrechen. Fahrt schon vor, ich komme dann nach.«
    »Aber – « Ohne weiter auf Helenas zaghaften Protest zu achten, war Ian mit dem Boten in großen Schritten davongeeilt. Wie gebannt schaute Helena ihm nach.
    »Steigen Sie ein.« Mohan Tajid berührte sie leicht im Rücken und nickte ihr aufmunternd zu. »Machen Sie sich keine Sorgen, er wird bald wieder bei uns sein.«
    Nur zögernd kletterte Helena die schmalen Eisenstufen hinauf. Mohan Tajid hatte einmal mehr ihre Gedanken erraten. Es war nur ein winziger Augenblick gewesen, kaum mehr als ein Herzschlag, doch was sie in Ians Gesicht gesehen hatte, als er den Eilbrief las, hatte ihr Angst eingeflößt. Was wird aus uns, wenn ihm etwas zustößt? Sie schalt sich für ihre irrationale Furcht, und noch mehr dafür, dass sie sich ohne Ian plötzlich schutzlos fühlte.
    Die Tür wurde von außen zugeschlagen, die Lokomotive stieß einen schrillen Pfiff aus, ehe sie sich zischend und dröhnend langsam in Bewegung setzte, unendlich schwerfällig, dann schneller werdend, sie aus dem Halbdämmer des Bahnhofs hinaustrug in das gleißende Sonnenlicht. Der Zug sprang über Weichen, einmal, zweimal, trug sie in halbem Tempo durch die Straßen der Stadt und deren Ausläufer, beschleunigte und zog mit ihnen durch flache grünbraune Felder, auf denen vereinzelte Bäume standen, in Richtung der dunstverhangenen blauen Hügel am Horizont, hinaus in die Weite Indiens.

9
      D ie Strahlen der Sonne trafen schon schräg durch das Fenster des Salonwagens, immer noch lichtgolden, noch nicht beschwert vom Kupfer des Abendlichts. Helena kniff die Augen zusammen, die vom stundenlangen Hinaussehen durch das Fenster brannten. Das gleichmäßige Rattern der Räder und das Rütteln des Zuges schläferten sie ein. In halbwachem Dämmerzustand ließ sie die dichten Wälder an sich vorüberziehen, weite Felder, leer und doch keinesfalls tot im indischen Winter; feuchte Flächen, in denen Frauen in bunten Saris mit ihren Kindern knöchelhoch im Wasser standen und sich über die zarten Reishalme beugten; Bauern, die hinter ihren Ochsengespannen einhergingen. Dazwischen rauchblaue Hügel am Horizont und treppenförmige Gesteinsformationen, die sich aus der Ebene emporfalteten, seltener eine Stadt, kleine Dörfer, Flüsse, die sie auf Brücken polternd überquerten. Helenas Blick folgte den Vögelschwärmen, die in den Himmel hinaufjagten, den Enten und Gänsen, die aufgeregt auseinander stoben, als der Zug über die Gleise rollte, nahezu schnurgerade in eine Landschaft hinein, die sich durch nichts zu unterscheiden schien von der des gestrigen Tages, nachdem sie Bombay hinter sich gelassen hatten.
    Sie legte den Kopf zurück auf die hohe Lehne des braunsamtenen Sofas, das fast die gesamte Länge des Compartments einnahm und zu dem zwei gleichfarbige Fauteuils gehörten. Auf der roten, mit goldenen Pfauen bestickten Tischdecke klirrte ihre Teetasse leise im Rhythmus des Zuges auf dem Unterteller, im Gleichklang mit den Scheiben des Bücherschrankes in der Ecke. In der gegenüberliegenden Ecke streckte sich eine rote Chaiselongue aus, an deren Kopfteil ein kleiner runder Tisch mit einem Schachbrett stand. Dicke Teppiche bedeckten den Boden, ließen nur wenige Stellen des polierten Eichenparketts sehen. Ein ganzer Wagen, geschaffen, um den Müßiggang langer Reisen möglichst luxuriös zu gestalten. Das erste Compartment hinter der Lokomotive war das Reich der Dienstboten, beinhaltete Küche, Lagerraum und auch deren Schlafplatz; im zweiten schliefen Helena und Jason; dann kam der Salon, und am Ende des Wagens befand sich noch ein Compartment – wohl dasjenige, das Ian vorbehalten war, denn als Helena ihre Neugier nicht mehr bezähmen konnte und nachgesehen hatte, hatte sie diese Tür abgeschlossen vorgefunden.
    Das Rascheln von Seide ließ sie aufsehen. Shushila verneigte sich anmutig.
    »Memsahib, noch Tee?«, fragte sie auf Hindustani mit ihrer leisen Stimme, bemüht, so langsam und deutlich zu sprechen, dass Helena sie verstehen konnte.
    Helena schüttelte den Kopf und sah ihr nach, wie sie geschmeidig durch den Raum glitt und Mohan Tajid und Jason nachschenkte, die schräg gegenüber am

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