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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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Esstisch über den Büchern saßen.
    Beklommenheit und Neid ballten sich in Helenas Magen zusammen, als sie die junge Inderin beobachtete. Das lackschwarze, glänzende Haar war zu einem einfachen Knoten geschlungen; dichte dunkle Wimpern über den mandelförmigen Augen beschatteten wie zwei Fächer die hohen Wangenknochen. Obwohl Shushila klein und grazil war, waren ihre Brust und Hüften wohlgerundet, was der lichtblaue Sari mit der silbernen Borte, der bei jeder ihrer Bewegungen verheißungsvoll knisterte, mehr betonte denn verbarg. Mit raschen, geschickten Bewegungen, die die zahllosen silbernen Reifen an ihren schlanken braunen Armen klingeln ließen, tauschte sie den leeren Teller mit den Keksen gegen einen gefüllten aus, auf den sich Jason sofort gierig stürzte. Sie war nicht auf steife Art elegant, wie die englischen Ladys, sondern auf eine weiche, weibliche, sinnliche, und Helena kam sich neben ihr plump und eckig vor. Ob Ian sie wohl begehrenswert findet?, schoss es ihr durch den Kopf, und sogleich verbannte sie diesen Gedanken wieder, der aber dennoch ein flaues Gefühl in der Magengegend hinterließ.
    »Und wenn du jetzt weiterrechnest, was bekommst du dann heraus?«
    Jason starrte mit gerunzelter Stirn auf das Papier; es arbeitete sichtlich in ihm. Schließlich erhellte sich sein Gesicht, und die Zunge im Mundwinkel, kritzelte er mit dem Federhalter eilig die Lösung hin.
    »Sehr gut, jetzt kannst du es!«, lachte Mohan und fuhr ihm mit seiner großen braunen Hand durch das Haar.
    Strahlend schnappte sich Jason den Bogen und rannte zu seiner Schwester, warf sich neben ihr auf das Sofa und hielt ihn ihr triumphierend so dicht vor das Gesicht, dass sie nur verschwommene schwarze Zeichen erkennen konnte. »Schau, Nela, ich hab’s begriffen!«
    Helena ließ sich von Jason jeden einzelnen Schritt der Rechnung erklären, auch wenn sie kaum etwas davon verstand. Sie sah auf. »Woher können Sie das alles, Mohan?«
    Er lächelte Helena an. »Ich hatte das Glück, nicht nur in den alten Traditionen meines Volkes aufzuwachsen, sondern auch lange Zeit einen englischen Tutor zu haben. Meine Familie war zumindest der Kultur und den Kenntnissen der englischen Kolonialmacht sehr zugetan.«
    Helena nickte, als ob sie verstand, doch es leuchtete ihr nicht wirklich ein. Wie konnte jemand wie Mohan Tajid, der offensichtlich aus einer vermögenden Familie stammte, nun im Dienst von Ian stehen? Offiziell war er sein Sekretär, gewiss, mehr noch, ein Vertrauter – aber dennoch ein Bediensteter wie Shushila und die Inder mit den Pistolen im Gürtel und den langen Schwertern an der Seite, die unablässig vorn und hinten auf dem Wagen in die vorüberziehende Landschaft spähten.
    Der Zug verlangsamte seine Fahrt, ruckte leicht, als die Bremsen griffen, behutsam und doch stetig, bis er schließlich mit schnaufender Lokomotive zum Halten kam.
    »Hatten wir einen Unfall?« Jason kniete im Polster des Sofas und drückte sich die Nase an der Fensterscheibe platt, beäugte kritisch die silbern glänzenden Blätter der vereinzelt stehenden Bambusstauden, die Teak- und Sandelholzbäume, die sich an eine langgezogene, halb verfallene Festungsmauer drängten, sie halb überwucherten, dann in einen dichten Wald übergingen, der sich bis auf die flachen Hügel am Horizont hinaufzog.
    Mohan zog eine kleine Taschenuhr hervor. »Wahrscheinlich Zeit, um den Kohlevorrat aufzufüllen. Wir sind recht schnell unterwegs gewesen. Indore liegt bereits hinter uns.«
    »Da kommen zwei Reiter!«, bemerkte Jason aufgeregt.
    Rasch richtete sich Helena auf. Die Pferde näherten sich in scharfem Galopp, jagten im Zickzack zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch und peitschten deren Zweige. Hinter den Hufen stob die schwarze, fruchtbare Erde auf. Trotz des rasanten Tempos wirkten die Bewegungen der Männer leicht und geschmeidig.
    » Ian , das ist Ian!«, rief Jason begeistert aus und stürmte nach draußen.
    Mit klopfendem Herzen ließ sich Helena in das Polster zurückfallen. Unwillkürlich strich sie sich nicht vorhandene Haarsträhnen aus dem Gesicht, zupfte an den langen Ärmeln des weißen, aufwändig mit blauen Streublümchen bestickten Kleides herum, fuhr sich glättend über den schmalen Rock.
    Im nächsten Augenblick stand Ian im Raum, lachend und mit Jason scherzend, seine hohen Stiefel staubbedeckt, das weiße Hemd feucht vor Schweiß. Das Compartment, das vorhin noch so still, fast einschläfernd wirkte, vibrierte nun in der belebenden,

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