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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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genau, wann Mr. Neville wieder eintreffen wird. Aber machen Sie sich keine Sorgen – er hat bestimmt schon alles für Sie vorbereitet. Mr. Neville überlässt nie etwas dem Zufall.«
    »Natürlich«, murmelte Helena.
    Dass Ian ein so großes Haus wie das in London mitsamt Personal in seiner Abwesenheit unterhielt, dass er jederzeit dahin zurückkehren konnte, als sei er nur eben zu einer Abendgesellschaft gewesen, überstieg selbst die vage Vorstellung, die sie sich inzwischen von seinem Reichtum gemacht hatte. Vermutlich stehen sogar jeden Tag frische Blumen auf den Tischen …
    Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich wünsche Ihnen auch alles Gute, Jane, und vielen Dank.«
    Warum musste sie sich nur ständig von allem, was ihr vertraut geworden war, verabschieden?
    Das grelle Licht der Sonne, vom Pflaster des breiten Kais reflektiert, stach Helena nach dem Dämmerlicht unter Deck schmerzhaft in den Augen, und das Gedränge und Geschiebe der Menschentrauben darauf nicht minder. Links und rechts der Kalika erstreckten sich Reihen weiterer Dampfschiffe und einige der letzten noch verbliebenen Segler früherer Tage, wurden Befehle gebrüllt und Maschinen angeworfen. Kulis karrten schwere Kisten und Ballen heran; sie sah Chinesen mit langen Zöpfen, Juden mit runden schwarzen Kappen und langen Schläfenlocken, Turbane in allen Farben, Hauttöne von Elfenbein über Sonnenbraun bis Ebenholz, rote Uniformröcke, blaue und schwarze; es wurde geschwatzt, gerufen, verhandelt, gelacht; englische Wortfetzen drangen an ihr Ohr, französische, spanische, dazwischen der eigentümliche Singsang des Hindustani, des Chinesischen und Arabischen. Verglichen mit Bombay war Port Said ein verschlafenes kleines Nest gewesen.
    Unterhalb der Gangway stand ein offener Wagen bereit, ein dunkelhäutiger Inder in weißer Livree auf dem Kutschbock, ein Paar schwarzer Pferde am Zügel. Ian hielt den Verschlag offen und wartete auf sie, während Jason auf den mit hellem Leder bezogenen Sitzen auf- und absprang, ihr winkte und zurief, und Mohan Tajid ihn mit einem Augenzwinkern – und völlig vergeblich – zur Ruhe mahnte. Helena gab sich einen Ruck und eilte die Gangway hinab.
    »Entschuldige«, rief sie Ian zu, noch ehe sie ihn erreicht hatte.
    »Kein Grund, dich zu entschuldigen.« Er reichte ihr die Hand und half ihr in den Wagen, ehe er sich selbst hineinschwang und den Verschlag zuschnappen ließ. »Es sind nur ein paar Häuserblocks bis zum Bahnhof, aber das können wir unmöglich zu Fuß gehen. Der Wagen mit dem Gepäck ist schon vorausgefahren.« Mit einem Fingerschnipsen ließ er den Kutscher die Pferde in einen leichten Schritt versetzen.
    »Werden wir den Zug noch erreichen?«, erkundigte sich Helena besorgt.
    Ian legte den Kopf in den Nacken und lachte.
    »Das will ich doch hoffen! Aber sei unbesorgt: Er wird erst losfahren, wenn wir eingestiegen sind. Schließlich gehört er mir.«
    »Dir gehört ein Zug ?« Helena sah ihn entgeistert an.
    Ian schüttelte belustigt den Kopf, während er seine Blicke immer wieder über das Gedränge schweifen ließ, das rund um die Kutsche aufbrandete.
    »Zumindest der Wagen. Die Lokomotive samt Heizer und Führer und die Benutzung der Gleise sind für – sagen wir, eine angemessene Gebühr gemietet. Mit genug Geld kann man alles kaufen, das solltest selbst du wissen.« Ein Schatten huschte über sein Gesicht, als er in einer tieferen Tonlage hinzufügte: » Fast alles.« Seine Augen wurden einen flüchtigen Augenblick lang matt, fast grau, ehe sie wieder das nächtliche Schwarz annahmen, das sie an ihm kannte.
    Helena schwieg betreten, senkte den Blick auf ihre Hände, ehe sie sich noch einmal zum Kai umwandte. Aus den Farben der Schiffe, Mennige, Ocker, Weiß, Bleigrau, stach der schwarze Körper der Kalika hervor, die sich von ihnen entfernte. Und was ihr bei ihrem nächtlichen Aufbruch – Äonen schien er her zu sein – und während der Fahrt entgangen war, ließ sie nun erstarren: Den Bug des Schiffes zierte, aufgemalt, eine drohend aufgerichtete Kobra, das Maul mit den spitzen Zähnen fauchend und bissbereit aufgerissen.
    Im Schritttempo zwängte sich der Wagen durch die Straßen der Stadt. Andere Kutschen und von Kulis gezogene Rikschas kamen ihnen entgegen, allerdings nicht in einer geraden Linie, sondern kreuz und quer, bremsten sich gegenseitig aus und blockierten den Weg des anderen. Unterernährte Kinder rannten neben ihrem Wagen her, reckten ihre mageren Ärmchen hinein, zerrten an

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