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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Vosseler
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ihrer Bewegungen verströmte einen Hauch von Patchouli, Rosenholz, Jasmin und Zimt.
    Durch einen breiten Torbogen trat sie in einen Innenhof, in dem knorrige Zedern und rosafarben blühende Büsche sich an Fassaden aus geschnitztem rötlichem Holz anlehnten, die in scharfem Kontrast standen zu dem hellen, nicht minder kunstvoll verzierten Stein. Stufen führten zu der hölzernen Galerie empor, die Helena nun betrat. Längst hatte sie die Orientierung verloren, ging einfach immer weiter. Ein saalartiger Raum reihte sich an den nächsten – so viele Räume, so prächtig ausgestattet – und so leer. Dennoch schien alles täglich von Dutzenden von Händen gepflegt zu werden: Kein Staubkorn war zu sehen, Seide und Samt wirkten wie frisch ausgeschüttelt. Ihr Weg führte sie um eine Ecke, noch eine, durch einen langen Gang, dessen Säulen den Blick auf den unwirklich blauen Himmel und die Wüste freigaben, dann eine Reihe Fenster, mit einem Vorhang aus zartem Gitterwerk, das sein Muster auf den glatten Boden warf. Kaum zu glauben, dass es aus Stein gehauen sein sollte. Hier war es fast kalt; Helena fröstelte und schlang das freie Ende des Saris um ihre Schultern.
    Der Gang schien kein Ende zu nehmen, bog wieder um eine Ecke, noch eine, dann stand plötzlich eine Wand hellen Sonnenscheins vor ihr, schmerzhaft nach der dämmrigen Kühle des Steingewölbes. Helena schloss für einen kurzen Moment die Augen, und als sie sie vorsichtig blinzelnd wieder öffnete, holte sie überrascht Luft.
    Dunkelgrün glänzten fleischige Blätter, silbern schimmernd tanzten lanzettförmig gefiederte Zweige in dem leichten, sonnendurchwärmten Luftzug; saftig quoll dickes Laub aus allen Ecken des Innenhofes, ließ nur wenig von den blau-weißen Kacheln des Bodens sehen. Sonnengelbe, scharlachrote, weiße und rosenfarbene Blüten sprangen zwischen dem Grün hervor, verströmten einen betörenden Duft. Palmen erhoben anmutig ihre Kronen darüber; sternförmig, in Weiß und Purpur blühend rankten sich die Arme einer Kletterpflanze an den Säulen empor. In der Mitte plätscherte ein Brunnen in seiner marmornen Schale, und irgendwo sangen, für Helena unsichtbar, Vögel. Die Pracht an Blüten und Blättern, mitten in der Wüste, schien selbst noch den verschwenderischen Reichtum des Palastes in den Schatten zu stellen. Helena schritt den gefliesten Weg entlang, der einmal um den quadratischen Hof führte, der größer war als das Haus von World’s End. Sie stutzte, als ihr Blick auf einen Baum mit einer weit ausladenden Krone fiel. Das konnte nicht sein – nicht hier, nicht um diese Jahreszeit. Ungläubig trat sie näher, betrachtete die rotglänzenden Früchte, berührte behutsam die wächserne Oberfläche. Verstohlen sah sie sich um, aber sie konnte niemanden entdecken, und entschlossen, fast trotzig pflückte sie eine davon, biss vorsichtig hinein, das Fruchtfleisch unter ihren Zähnen krachend. Säuerlich-süß rann der Saft ihr Kinn hinab, und unwillkürlich musste sie lachen. Ein Apfelbaum, in einem Innenhof mitten in der Wüste Rajputanas!
    Durch einen säulengestützten Bogen trat sie in wieder in die Kühle des Gebäudes auf der anderen Seite des Hofes, setzte ihren Weg dort fort. Eine schmale Wendeltreppe aus weißem Marmor wand sich von dort nach oben. Helena hatte den Fuß schon auf der untersten Stufe, als sie zögerte. Ihr Entdeckungsdrang schien plötzlich gebremst, als hätte eine innere Stimme sie gewarnt, und gleichzeitig fühlte sie sich wie magnetisch von dieser Treppe angezogen. Sie schöpfte tief Atem, schüttelte jeglichen unangenehmen Gedanken von sich ab und ging hinauf.
    Stockwerk um Stockwerk erklomm sie die Stufen, konnte Blicke in die Räume werfen, die um die Treppe herum gruppiert waren. Diese wirkten verlassen, totenstill; weiße Tücher bedeckten nur schemenhaft erkennbare Möbel, bewegten sich sacht im Lufthauch, der flüsternd durch die Fenstergitter strich, wirkten auf unheimliche Weise lebendig; hätte nicht die helle Sonne Schattenzeichnungen auf die Böden geworfen, hätte Helena geglaubt, sich in einem der Spukhäuser aus Marges Erzählungen zu befinden, bei denen sie die Kinder an stürmischen Abenden am Kamin sich eng an sie hatte drücken lassen, mit großen Augen ebenso schaudernd wie fasziniert zuhörend.
    Immer enger wand sich die Treppe empor, die Gemächer wurden weniger zahlreich und kleiner, und Helena hatte das Gefühl, die Wände rückten immer näher. Das Atmen fiel ihr schwer, obwohl sie

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