Himmel über Darjeeling
Djanahara sie sanft auf die Stirn küsste, ehe sie in einen tiefen Schlaf glitt.
13
W arm schien die Sonne durch das Gitter der Fenster und zeichnete ein feines Spitzenmuster auf den Boden, als Helena blinzelnd die Augen öffnete. Wohlig streckte sie sich und schob sich ein Kissen unter den Bauch, genoss noch einige Augenblicke lang das süße Gefühl allmählichen Aufwachens. Die langen weißen Vorhänge an der geöffneten Tür bauschten sich sanft in der Luft, und über die Fliesen des Innenhofes stolzierte mit hochgerecktem Kopf ein Pfau. Von weitem hörte sie das Gekicher und Geplapper der Frauen, und ein seliges Lächeln zog über Helenas Gesicht. Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie geschlafen hatte, ob eine Nacht oder zwei, doch sie fühlte sich erfrischt und leicht, als hätte sie im Schlaf alle dunklen Schatten, die sie bisher bedrückt hatten, abgeschüttelt.
Ein leichter Luftzug, der verriet, dass sich die Zimmertür einen Spalt geöffnet hatte, ließ sie aufblicken. Ein dunkles Gesicht streckte den Kopf hinein, nickte ihr lächelnd zu, dann trat Djanahara ein, ein Tablett mit dampfendem chai und köstlichem, süßen Mandelgebäck in den Händen.
»Gut geschlafen?«, fragte Djanahara liebevoll und ließ sich auf der Bettkante nieder.
»Sehr gut.« Helena setzte sich auf und räkelte sich wohlig. Hungrig machte sie sich über das Gebäck her, trank in tiefen Zügen den Tee.
Von weit entfernt drangen Geräusche herein – das Klopfen von Hämmern, ein Scharren und Schleifen, gerufene Befehle von Männern, emsige Schritte, perlende Wortkaskaden von Frauen. Das ganze Haus schien in hellem, aber freudigem Aufruhr zu sein.
»Was geht dort draußen vor sich?«
»Sie bereiten alles für die Hochzeit vor.«
»Wessen Hochzeit?« Helena wischte ein paar Krümel ab, die auf die rüschenbesetzte Vorderseite ihres Nachthemds gefallen waren, und griff nach einem weiteren Stück Gebäck. Djanahara sah sie einen Moment lang an, einen weichen und dennoch vorsichtigen Ausdruck in den dunklen Augen, ehe sie antwortete. »Heute ist solah shringar , dein Hochzeitstag, bétii .«
Helena blieb der Bissen, an dem sie gerade kaute, beinahe im Hals stecken. Aus großen Augen sah sie Djanahara an. »Mein – was ? Aber ich bin – ich bin doch schon verheiratet!«
Djanahara beugte sich vor und legte ihre ringgeschmückte Hand an Helenas Wange.
»Nicht vor Shiva und den anderen Göttern.«
Helena schluckte mühsam den Rest des Mandelhörnchens hinunter, der plötzlich unangenehm klebrig schien.
Zögernd folgte sie Djanahara wenig später in das Badehaus der zenana , wo sich die Frauen begeistert auf sie stürzten. Unter den wachsamen Augen Djanaharas wurde eine zähe, harzige Masse unter ihren Achseln und auf den Beinen verteilt und nach dem Trocknen ruckartig abgerissen, was Helena zuerst vor Schreck und Schmerz aufschreien ließ, ehe sie tapfer die Zähne zusammenbiss. Ein frisch duftendes, leichtes Öl linderte das Brennen und beruhigte die gereizte Haut. Nach einem Bad in Rosenblüten wurde sie von Kopf bis Fuß mit einem dickflüssigen Öl eingerieben, das nach Rosen und Jasmin, Sandel- und Rosenholz duftete. Ein grobzinkiger Kamm entwirrte ihr vom Schlaf verknotetes Haar, eine blütenschwere Pomade machte es seidig und glänzend. In einen leichten, weißen Sari gehüllt, folgte sie den Frauen in einen versteckten Innenhof der zenana , dessen zur Mitte hin absteigende Stufen mit sonnenfarbigen Polstern bedeckt waren, zwischen denen sich Girlanden aus Ringelblumen wanden. Eine der Frauen hieß sie Platz nehmen, ihre Hände ausstrecken und ihre Beine bequem auf Kissen lagern. Eine dunkelrote Paste, die nach Kräutern und getrockneten Blättern roch, wurde in feinen Linien auf ihre Haut aufgetragen, zeichnete kunstvolle Schnörkel, Blütenranken und Blätter auf ihre Handinnenflächen, zog sich über die Finger den Handrücken hinauf, verlor sich schließlich auf den Handgelenken, ebenso wie über ihre Fußsohlen bis hinauf an die Knöchel. Ein paar der Frauen stimmten ein Lied an, begleitet von einem Tamburin, dann fielen die anderen Frauen mit ein. Vielstimmig, abwechselnd, im Chor, sangen sie von der gottgegebenen Schönheit der Frauen, von leuchtenden Augen, frischen Wangen und roten Lippen; dem sanften Schwung des Beckens und der festen Wölbung von Brüsten; von Sittsamkeit und Keuschheit, von Demut und Gehorsam, den Tugenden der indischen Ehefrau; von irdischen Genüssen und himmlischen Freuden, die
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