Himmel über Darjeeling
Helena das Blut in die Wangen schießen ließen. Wenn auch die blumige Sprache für sie oft schwer verständlich war, sie viele der alten Worte nicht kannte, so erkannte sie doch, dass dies die Lieder waren, mit denen Generationen von Frauen vor ihr auf das, was nach dieser Nacht folgen würde, vorbereitet worden waren; uraltes Wissen, von Frau zu Frau in diesen Gesängen weitergegeben, im Kreis von ihresgleichen, unter Müttern und Töchtern, zwischen Schwestern und Cousinen, Tanten und Nichten. Obwohl es nicht Helenas Sprache war, obwohl anderes Blut in ihren Adern floss, fühlte sie sich im Kreis der Frauen geborgen und sicher, vereint durch die Bande ihres Geschlechts, symbolisiert durch die Linien in der dunkelroten Farbe, die sich über ihrer aller Hände und Füße zogen.
Aufmerksam lauschte sie den Worten, den Klängen der warmen und hellen Stimmen, die sie wie schmeichelnder Stoff einhüllten, dem mal schnellen, mal langsamen Klang des Tamburins, wie ein beständiger Herzschlag, während die Stunden verstrichen. Djanahara als Älteste und Herrin des Hauses fütterte sie mit Stücken von Mangos, Bananen, Kokosnüssen, setzte ihr ein Glas mit chai , gewürzt mit Zimt und Koriander, an die Lippen, während die Paste auf der Haut trocknete und eine dünne Kruste bildete. Die Sonne fiel schräg in den Hof, überzog die Köpfe der Frauen und ihre schillernden Saris mit dunklem Gold, dann Messing und Kupfer, und erst als Fackeln entzündet wurden, bemerkte Helena, dass sich der Tag zu Ende neigte.
Mit einer nach Zitrone duftenden Essenz wurde die trockene Paste von ihren Händen und Füssen gewischt, und staunend betrachtete Helena im Zwielicht zwischen blaudämmerndem Abend und warmem Flammenschein die filigranen Muster, die ihre Hände und Füße schmückten.
Djanahara und drei andere Frauen geleiteten sie zurück in ihr Zimmer, ihr Weg beleuchtet von Laternen, deren durchbrochene Wände goldene Lichtfacetten über Böden und Mauern warfen.
Stumm und feierlich wickelten sie Helena aus dem schmucklosen Sari. Das enge, bauchfreie choli in einem leuchtenden Rot wurde vorne zugeknöpft, die meterlange Bahn des Saris entfaltet. Helena holte tief Luft, als sie die Pracht sah – intensives Rot, von einer breiten Goldborte gesäumt, mit Goldfäden durchwebt, die sich in den gebogenen Tropfen, die sie schon von ihrem Paschminaschal her kannte, in Blütenranken und Blättern, in Pfauen, Rhomben, stilisierten Sonnen zusammenfanden und verdichteten, durchsetzt von winzigen, aufgenähten Spiegeln mit schmalem Goldrand und roten und klaren Steinsplittern, von denen Helena hoffte, sie wären aus Glas und nicht die Juwelen, nach denen sie aussahen. An den Hüften beginnend, wurde die schimmernde Seide um sie gewickelt, das Ende schließlich über ihre linke Schulter gelegt, fiel von dort glatt den Rücken hinab.
Djanahara musterte sie eindringlich, dann zog ein warmes Lächeln über ihr Gesicht.
»Schon lange gab es keine Braut mehr auf Surya Mahal«, flüsterte sie sichtlich bewegt und nahm Helena bei den Händen. »Am solah shringar trägt die Braut den ganzen Schmuck, den sie als Mitgift in die Ehe bringt. Du bist mit leeren Händen in dieses Haus gekommen, aber ich weiß, dass ich dich nicht ohne anderen Reichtum deinem Mann übergeben werde.« Sie zog das Ende des Saris als Schleier über Helenas Scheitel und nahm sie bei den Schultern. »Es ist Zeit«, hauchte sie ihr mit einem Kuss auf die Stirn.
Der gleichmäßige, dumpfe Klang einer Trommel, ernst und feierlich, gleichzeitig freudig erregt, leitete sie durch die Gänge und hohen Räume, alle festlich erleuchtet. Vorsichtig setzte Helena an Djanaharas Arm einen Schritt ihrer bloßen Füße vor den anderen, den Kopf gesenkt und mit zitternden Knien.
Der große Hof, in den sie bei ihrer Ankunft geritten waren, war vom zuckenden Schein unzähliger Fackeln und Öllaternen beleuchtet, sein Boden mit einer dicken Schicht von Rosenblättern bedeckt. Blütengirlanden – Ringelblumen, Rosen, Jasmin – überzogen die Mauern, und in der Mitte brannte ein Feuer, um das ein schmaler roter Teppich lief, gesäumt von weißen und roten Polstern. An den Rand des Hofes drängten sich alle Bewohner und Bedienstete des Palastes, festlich gekleidet und geschmückt, sie schweigend und erwartungsvoll anstarrend. Unwillkürlich drückte sich Helena dichter an Djanahara, die ermunternd ihre Hand drückte, ein Leuchten in ihren Augen.
Die Trommel verstummte, und das Schweigen stand
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