Himmel über Darjeeling
nahm geistesabwesend die Umarmungen und begeisterten Ausrufe der Frauen entgegen, Jasons kurzen, feuchten Wangenkuss, ehe er in seinem weißen Anzug, dem der Rajputen nachempfunden, den anderen Kindern hinterherstürmte, die zwischen den Menschen, die sich auf der Erde niedergelassen hatten, quietschend hin und her flitzten. Ausgelassen tanzten Frauen in Wirbeln bunter Seide, ließen ihre Armreifen, Hals- und Fußkettchen aufklingen; selbst die sonst so ernsthaften Rajputen ließen sich von ihnen mitziehen, klatschten in die Hände und stimmten in die Lieder mit ein.
Helena beobachtete Ian, wie er lässig auf seinem Polster saß, halb von ihr abgewandt, mit ein paar Männern lebhafte Wortwechsel auf Hindustani führend, immer wieder mit ihnen in lautes Lachen ausbrechend. Er fügte sich so nahtlos in die bunte, fremdländische Szenerie ein, als hätte er sein ganzes Leben zwischen ihnen verbracht – als sei er einer von ihnen … Rajiv, das Chamäleon .
Als er nach seinem Glas griff, fing er ihren Blick auf, hielt ihn fest. Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, warm, weich, und die Tiefe in seinen Augen ließ Helena erzittern. Er beugte sich zu ihr herüber und nahm ihre Hand. »Müde?«
Helena nickte, aber sie hätte nicht sagen können, ob sie tatsächlich schläfrig war oder der betäubende Geruch nach Räucherwerk, Hölzern und Blüten ihren Kopf so schwer machte. Er drückte seine Lippen in ihre Handfläche und erhob sich. »Dann lass uns gehen.«
Unter dem Gelächter der Männer, die derbe, scherzhafte Bemerkungen machten und Ian auf die Schultern klopften, brachen sie auf, bahnten sich ihren Weg durch die Menschen, die sich auf den im ganzen Hof verteilten Polstern ausstreckten oder im Schneidersitz auf dem nackten Steinboden saßen, sich lebhaft unterhielten, an den kleinen Köstlichkeiten, die überall auf silbernen Tellern bereitstanden, gütlich taten und die in ihrer Feierstimmung kaum Notiz von ihnen nahmen.
Hinter der Tür im Inneren des Palastes war es still, fast kühl nach der Hitze des Feuerscheines. Eine Schar Dienerinnen huschte an ihnen vorüber, eilte auf leisen Sohlen voraus. An Ians Hand ging Helena durch Gänge und Räume, die sie bislang noch nie gesehen hatte, bis sie an einem Zimmer anlangten, dessen zweiflüglige Tür aus dunklem Holz weit offen stand. Die jungen Mädchen hatten sich an der Tür aufgereiht, verbeugten sich tief, den Blick auf den Fußboden gesenkt.
Es war ein großer, hoher Raum, kaum vom Licht der unzähligen Laternen erhellt. Süß und schwer hing der Duft von Rosen in der Luft; Rosenblätter waren auf dem glatten Steinboden verstreut, leuchteten auf den weißen Kissen und Laken des breiten Bettes, dessen geschnitzte Pfosten den duftigen weißen Himmel darüber trugen. Beklommen starrte Helena auf das Bett, und Angst kroch in ihr empor. Bemüht, Ians Blicken auszuweichen, suchte sie nach etwas, was ihre Aufmerksamkeit hätte ablenken können, doch der Raum war sonst leer. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, wie Ian sich in dem einzigen Sessel des Raumes zurücklehnte, während eine der Dienerinnen seine Stiefel auszog. Ein Winken mit seiner Hand, knisternde Seide, das Klingeln von Silberschmuck, das behutsame Einschnappen des Türschlosses. Sie spürte, dass Ian aufgestanden war, und zwang sich, ihn anzusehen.
Er hatte den Turban und die bestickte Jacke abgelegt; in einem einfachen weißen Hemd und Reiterhosen, barfuß, stand er da und erwiderte ihren Blick, ehe er langsam auf sie zukam. Helena wusste, dass es in dieser Nacht kein Entkommen für sie geben würde, doch seltsamerweise spürte sie kein Verlangen danach, vor dem zu fliehen, was geschehen würde.
Behutsam streifte er das Ende des Saris von ihrem Kopf, und seine Berührung ließ Helena aufschaudern. Mit dem Handrücken fuhr er ihre Wangenlinie entlang, hob ihr Gesicht zu ihm an. Forschend sah er ihr in die Augen, eine dunkle Glut in den seinen, und Helenas spürte, wie ihre Knie nachgaben, als sie seine Lippen auf ihren spürte wie die Erfüllung einer lang gehegten Sehnsucht. Ein kleiner Seufzer entrang sich ihr, und sie spürte, wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzog.
»Kleine Helena … So lange hast du dich gesträubt, aber selbst du kannst dich nicht dem Zauber dieser Nacht entziehen …«
Er küsste sie fester, während er den Seidenstoff des Saris von ihrer Schulter gleiten ließ. Seine Hände glitten über ihre Taille zu ihren Hüften, zogen sie eng an sich, und Helena stöhnte
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