Himmel über Darjeeling
schwer und massig im Hof unter dem Zelt des Nachthimmels. Das dreimalige Klopfen, das gegen das geschlossene Tor donnerte, ließ Helena zusammenfahren.
» Kyaa tjaahíye , was wünscht Ihr?«, rief der Torhüter, ein hochgewachsener Rajpute in langer weißer Jacke und rotem Turban, sein blitzendes Schwert an der Seite, herrisch nach draußen.
» Maiñ mérii dulhin tjáahtaa , ich fordere meine Braut«, kam die Antwort laut und bestimmt von der anderen Seite der Mauer, kaum gedämpft durch das massive Holz des Tores.
Wieder ein dreimaliges Klopfen, wieder die Frage und die dazugehörige Antwort, dann ein drittes Mal, ehe der Rajpute ein Zeichen gab, das Tor zu öffnen.
Die langsam auseinander strebenden Torflügel gaben den Blick frei auf eine von Fackeln beleuchtete Reitergruppe. Schritt für Schritt setzten die Pferde einen Huf vor den anderen in den Hof hinein, von straffen Zügeln mühsam gebändigt. Alle Reiter waren Rajputen, weiß gekleidet, mit roten Turbanen, kriegerisch und Ehrfurcht gebietend. An ihrer Spitze ritt auf einem makellosen Schimmel ein Rajpute, der als Einziger einen weißen Turban trug, an der Stirn mit einem großen, funkelnden Stein besetzt. Seine lange Jacke mit dem Stehkragen über den weißen Reithosen, die in hohen Stiefeln steckten, war mit einem feinen Gespinst aus goldenem Garn überzogen, das bei jedem Schritt des Pferdes glitzerte. Mit einer Hand hielt er den Zügel stramm, während er die andere ebenso stolz wie lässig in die Hüfte gestützt hatte.
Ein Inder – großer Gott, sie wollen mich mit einem Inder verheiraten … Entsetzen lähmte Helena, bis sie nach einer endlos langen Schrecksekunde Ian erkannte, und ihre Furcht wich ungläubigem Erstaunen. In der fremden, für die Rajputen so typischen Tracht, im zuckenden Schein der Fackeln, wirkte er wie einer von ihnen, seine von der Sonne gebräunte Haut dunkler, seine scharfen Gesichtszüge exotischer – und doch war er es, ohne jeden Zweifel, sie erkannte ihn an der Art, wie er sich auf dem Pferd hielt, am Funkeln in seinen Augen, dem spöttischen Zug um die Mundwinkel.
Die Pferde kamen zum Stehen, umweht von der kühlen Nachtluft der Wüste, die durch das geöffnete Tor hereinströmte. Dann schlossen sich die Torflügel mit einem hallenden Geräusch. Die Männer saßen ab, übergaben die Zügel den herbeieilenden Dienern und sahen Helena und Djanahara entgegen.
Djanahara führte Helena mit langsamen Schritten am hochauflodernden Feuer vorbei, das einen intensiven, würzigen Duft verströmte. Vor Ian und den Rajputen blieb sie stehen.
» Maiñ dénaataa mérii bétii huuñ , ich gebe dir meine Tochter«, sagte sie laut und mit klarer Stimme.
Wie von Djanahara geheißen, legte Helena eine Kette aus aufgefädelten Blüten um Ians Hals. Fremd sah er aus, in der prächtig bestickten Jacke, über der eine lange Kette mit einem ziselierten Anhänger lag. Er verbeugte sich mit aneinander gelegten Handflächen erst vor Djanahara, dann vor Helena, ehe er Helenas Hand nahm und sie an der anderen Seite des Feuers vorbei zu den roten Polstern führte, über die ein Baldachin aus weißer Seide gespannt war, der sich im heißen Atem des Feuers sacht bewegte.
Ein Priester intonierte in einem eigentümlichen Singsang die alten Worte der Heiligkeit der Ehe. Die Luft war schwer von Räucherwerk, süß, holzig und betäubend. Helena bebte, doch sie spürte Ians Hand, die während der Zeremonie ihre kalten Finger sanft und doch fest drückte, seine Ringe kühl in ihrer bemalten Handfläche.
Stunden schien es zu dauern, ehe der Priester zu ihnen trat und Ian, der sich tief verbeugte, einen langen, bestickten Schal umlegte, dessen Ende er mit einem Zipfel von Helenas Sari verknotete. Symbolisch so miteinander vor den Göttern verbunden, schritten sie langsam um das Feuer, einmal, zweimal, insgesamt siebenmal, unter dem Gesang des Priesters und der gespannten Stille der Menge, die im Dunkel um das Feuer nur mehr zu erahnen war. Der Priester reichte Ian eine Schale mit rotem Zinnoberpuder, in das er den Ring an seinem Ringfinger tauchte und Helena damit über die Stirn strich.
In diesem Augenblick brach ohrenbetäubender Jubel aus, Männer, Frauen, Kinder stürmten auf sie zu, um sie zu beglückwünschen; ein Regen aus Reiskörnern und Rosenblättern ging auf sie hernieder, dann setzte Musik ein, Trommeln, ein hoch gestimmtes Saiteninstrument, Lieder aus Frauenkehlen, sinnlich, lockend, fröhlich. Steif saß Helena auf ihrem Polster,
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