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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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immer von Dieben und Räubern erzählt hatte, die einer Frau Entsetzliches antun konnten, wurden in ihrer Phantasie wieder lebendig.
    » Einen Revolver?«, fragte Charlotte, der ebenfalls beklommen zumute wurde.
    » Für eine Frau ist das besser als ein Gewehr«, meinte er gleichmütig. » Am besten aber ist, Sie lassen sich in der Nacht von einem bewaffneten Diener begleiten.«
    » Vielen Dank für den Rat. Wir werden keinen Fuß aus der Wohnung setzen, solange es dunkel ist.«
    Er verbeugte sich mit ernster Miene und ging davon. Kamal Singh wohnte nicht in der Inderstraße, er besaß ein Haus, das weiter südlich nahe der Hauptstraße gelegen war. Kunert hatte erzählt, der Inder sei Witwer, es wohnten jedoch zahlreiche Verwandte oder Freunde bei ihm, außerdem bewirte er häufig Gäste oder Geschäftspartner, so genau könne man das nicht auseinanderhalten.
    Ihre Abendmahlzeit bestand aus gekochtem Reis, gewürzt mit Salz und Kurkuma, dazu aßen sie eine Mango, die Charlotte einer Straßenhändlerin abgekauft hatte und die köstlich wie reifer Pfirsich schmeckte. In Ermangelung von Tisch und Stühlen saßen sie nebeneinander auf der Truhe, hielten die Teller auf dem Schoß und lauschten dem Regen, der heftig aufs Dach trommelte. Es war ein großartiges Gefühl, in einer eigenen Wohnung zu leben und sich bei niemandem für seine Anwesenheit entschuldigen zu müssen.
    » Wenn wir erst eine Nähmaschine haben, kannst du aus den Stoffen hübsche Gewänder herstellen«, murmelte Charlotte, als sie neben Klara auf dem Bett lag.
    » Aber ich habe noch nie auf einer Maschine genäht, Charlotte!«
    Die Großmutter hatte der neuen Technik immer misstraut, solch teuren Schnickschnack brauchte man nicht, solange genügend Frauen im Haus waren, die die Nadel führen konnten.
    » Das lernst du schnell. Sogar die Männer können es hier– hast du nicht gesehen, wie sie vor ihren Läden sitzen und die Nähte heruntersurren?«
    So schläfrig Klara auch war– ihre Bedenken waren riesengroß, und sie musste sie loswerden.
    » Aber ich kann mich doch nicht auf die Straße setzen, wo mir alle Leute bei der Arbeit zuschauen, Charlotte. Wenn ich schon nähe, dann will ich es still für mich irgendwo hinten im Laden tun.«
    » Da ist es zu dunkel, Klara. Und außerdem sollen die Leute doch wissen, dass wir Kleider nähen, sonst bekommen wir keine Bestellungen.«
    » Wir könnten doch ein Schild aufstellen…«
    » Ein Schild?«, fragte Charlotte kichernd. » Und was willst du darauf schreiben? In welcher Sprache? Wo die meisten sowieso nicht lesen können…«
    Sie hatten die Fenster im großen Zimmer offen gelassen. Es hatte jetzt aufgehört zu regnen, und die frische Luft war angenehm. Ein seltsamer Laut drang von draußen zu ihnen herein, ein Scharren und Kratzen, dann ein dumpfer Schlag.
    » Was war das?«, flüsterte Klara verängstigt. » Doch wohl kein Dieb, der in unseren Laden einbrechen will?«
    » Das war nicht bei uns, es ist weiter vorn…«
    Holz splitterte, sie vernahmen ein Fauchen, dann ein tiefes, rasselndes Knurren, das ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ. Charlotte sprang von ihrem Lager auf und lief zum Fenster. Unten auf der Straße war jetzt Lärm, Fackeln wurden geschwenkt, Männer fuchtelten mit Knüppeln herum, brüllten, schalten, fluchten in allerlei Sprachen.
    » Simba! Simba!«
    Im Zwielicht sah Charlotte den hin- und herirrenden Schatten eines großen Tieres, ein dumpfes Grollen ertönte, dann ein tiefes, drohendes Brüllen. Die Männer wichen zurück, einer warf die brennende Fackel nach der Bestie, und im Lichtschein erkannte Charlotte das aufgerissene Maul und die wilden, glitzernden Augen einer Löwin. Sie fauchte zornig, dann drehte sie ab und trottete die Straße entlang, bis sie in der Dunkelheit verschwunden war.
    Deshalb also sollten sie in der Nacht nicht auf die Straße gehen! Löwen drangen bei Dunkelheit bis in die Stadt hinein und versuchten, in Wohnungen und Geschäften allerlei Fressbares zu stehlen. Sie dachte wehmütig an den ausgestopften Löwenkopf, der vor vielen Jahren in Ohlsens Schaufenster gehangen hatte. Damals hatte sie geglaubt, der König der Savanne sei ein freier, edler Herrscher der afrikanischen Wildnis. Aber wie es schien, war diese große Katze nicht mehr als ein gemeiner Dieb und Aasfresser.

Schammi tauchte am gleichen Tag auf, an dem Kamal Singh ihnen die Nähmaschine bringen ließ. Charlotte war rasch auf den Markt gelaufen, um Früchte und Gemüse

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