Himmel über dem Kilimandscharo
führten und sich dort gut eingerichtet hätten. Von Christians Reise ins Usambara-Gebirge schrieb sie nichts. Seit der Abfahrt des Dampfers vor drei Wochen hatten sie nichts mehr von ihm gehört, und sie begann, sich ernsthaft Sorgen zu machen.
» Aller Anfang ist schwer«, tröstete Klara. » Er wird uns erst dann schreiben, wenn er auf sicheren Füßen steht.«
Wenn er überhaupt irgendwo einen Posten oder wenigstens eine kurzfristige Beschäftigung gefunden hat, dachte Charlotte beklommen. Die schrecklichen Phantasien, die sie in schlaflosen Nächten plagten, behielt sie besser für sich. Es gab zahllose Berichte über Europäer, die irgendwo im Urwald oder in der Steppe verschwunden waren und deren Schicksal niemals geklärt wurde. Schlimmer als die Sorge um Christian war jedoch ein zutiefst boshafter, sündiger Gedanke, den sie voller Scham von sich wies, dessen sie sich aber dennoch nicht erwehren konnte: Das Leben ohne ihn war angenehm.
Kamal Singh wusste, dass Charlottes Ehemann nach Usambara gereist war, doch er fragte niemals nach ihm. Fast schien es Charlotte, der Inder glaubte nicht daran, dass Christian jemals zurückkehrte. Viel weniger noch schien er damit zu rechnen, dass Charlotte und Klara eines Tages nach Usambara fahren würden, um dort mit Christian Ohlsen zu leben. Kamal Singh war nach wie vor bemüht, Charlotte bei der Führung ihres Ladens unter die Arme zu greifen. Er vermittelte Klara Aufträge aus seinem weitläufigen Freundeskreis, verschaffte Charlotte allerlei Waren, die günstig im Einkauf waren und guten Absatz fanden, und wenn er ihnen Tee brachte, plauderte er jetzt immer häufiger von seinen Geschäften. Er bezog Elfenbein, Tierhörner, Krallen und Zähne aus dem Landesinneren, außerdem Kopal: braune Klumpen eines urgeschichtlichen Baumharzes, das die Schwarzen aus dem Boden ausgruben. Doch das Geschäft sei heute schwieriger geworden, es sei ungemein teuer, eine Karawane auszurüsten, da die Träger immer höhere Löhne verlangten. Früher hätten Sklaven diese Arbeit besorgt, da habe man nur die Ausrüstung und die Verpflegung zahlen müssen– die Araber, die drüben am anderen Ende der Straße ihre Läden hätten, könnten ein Lied davon singen. Trotz allem schien er noch gut im Geschäft zu sein und hatte manch einen Abnehmer, der für Löwenkrallen oder das Horn eines Nashorns viel Geld zahlte. Man stellte ein Pulver daraus her, das von Männern sehr begehrt war.
» Mir gefällt nicht, was er uns da erzählt«, meinte Klara, als sie am Abend miteinander allein waren. » Gewiss hat er früher selbst Sklaven gehalten. Und dieses Zeug, das sie aus Tierhörnern machen– nichts als Aberglaube und Hokuspokus.«
Charlotte war weniger kritisch. Ein Geschäft war ein Geschäft– und wenn die Käufer dieser Pülverchen daran glaubten, es könne ihre Manneskraft erhöhen–, warum nicht? Vielleicht half es ja tatsächlich, wer konnte das schon so genau wissen. Doch das waren Dinge, über die sie mit Klara besser nicht sprach– die errötete ja schon, wenn sie nur das Wort » Manneskraft« hörte. So eng sie nach wie vor mit ihrer Cousine verbunden war– es taten sich Risse auf. Immer häufiger musste Charlotte ihre Gedanken vor ihr verbergen, und sie wusste, dass auch Klara ihr manches verschwieg. Ihre Cousine hatte sich zwar dazu durchgerungen, vor dem Laden an ihrer Nähmaschine zu sitzen, doch sie tat ihre Arbeit, ohne nach rechts oder links zu sehen, und wenn sie redete, dann sprach sie nur mit Charlotte oder mit Schammi. Die lebhafte, fröhliche Art, mit der Charlotte inzwischen ihre Kunden bediente, sie beriet, mit ihnen auf Suaheli, Arabisch oder Deutsch radebrechte und vor allen Dingen um die Preise feilschte, lag Klara gänzlich fern. Sie sehnte sich stattdessen nach einer kleinen Stube, in der sie ungestört von neugierigen Blicken ihrer Arbeit nachgehen konnte, vor allem aber brauchte sie den Halt der christlichen Religion, in der sie aufgewachsen war. Inzwischen mietete sie sich jeden Sonntag eine Rikscha, um gemeinsam mit Schammi zur evangelischen Missionsanstalt zu fahren und dort den Gottesdienst zu besuchen. Charlotte, die keine Sehnsucht nach religiösem Trost verspürte, hatte sich energisch geweigert, den Laden während dieser Zeit zu schließen, und so blieb sie allein zurück und verkaufte ihre Waren auch am heiligen Sonntag.
Der erste Streit zwischen ihnen brach an jenem Tag aus, als Sarah William in der Inderstraße erschien. Charlotte, die vor dem
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