Himmel über dem Kilimandscharo
auch nur als Übergangslösung gedacht. Aber immerhin hatten sie ein zweites Bett angeschafft, und falls Klara Tisch und Stühle brauchte, würde sie sich danach umsehen. Charlotte schlief seit einiger Zeit in einem eigenen Bett, das sie in dem zweiten Schlafraum aufgestellt hatten, und Schammi war ohne Murren auf den Teppich im Wohnraum umgezogen.
» Ach, weshalb sollen wir jetzt noch Möbel kaufen? Wenn Christian uns nach Usambara kommen lässt, hat er das Haus sicher schon fertig für uns eingerichtet.«
Charlotte wollte Klaras glückliche Stimmung nicht verderben und gab ihr in allen Dingen Recht. Gewiss, es sei gesünder, in den Bergen zu leben, schon wegen der lästigen Moskitos, und wenn sie fleißig sparten, könnten sie ganz sicher bald Besitzer einer eigenen Plantage werden. Wie gut, dass Christian jetzt als Pflanzer Erfahrungen sammelte, die kämen ihnen später zugute.
Insgeheim jedoch fühlte sie sich zerrissen und unglücklich. Sie liebte diesen kleinen Laden, den sie mit Kamal Singhs Hilfe aufgebaut hatte und der inzwischen genügend Geld zum Leben abwarf. Sie liebte auch diese Wohnung, sie war zwar eng, und die hinteren Räume waren dunkel, aber sie lag im Herzen der Inderstraße, dort, wo die Geschäfte getätigt wurden, wo Händler und Käufer aufeinandertrafen, wo das Leben pulsierte. Schon häufig hatte Kamal Singh Waren aus dem hinteren Bereich ihres Ladens abholen lassen und dafür neue eingelagert– das waren Geschäfte, die mehr einbrachten als der Verkauf eines Teekessels oder eines Seidentuchs, und der Inder schien nicht abgeneigt, sie daran teilhaben zu lassen.
Das alles sollte sie nun also aufgeben, um mit Klara und Christian in einer Holzhütte im Usambara-Gebirge zu hausen. Selbst wenn sie dort einen kleinen Laden eröffnen könnte– sie würde ganz von vorn anfangen müssen. Und die Aussicht auf eine eigene Plantage lockte sie– nach allem, was Christian da geschildert hatte– überhaupt nicht.
Den ganzen August über kam kein Brief mehr von ihrem Ehemann, auch im September, als sich schon die Regenzeit ankündigte, warteten sie vergeblich auf Nachricht. Klara tröstete sich und Charlotte damit, dass die Arbeiten auf der Plantage gewiss viel Kraft und Zeit in Anspruch nähmen, schließlich hatte er geschrieben, die Pflanzen sollten bis zur Regenzeit im Boden sein. Charlotte war nicht böse über diesen Verzug, ärgerlich war nur, dass sich Kamal Singh mehr und mehr vor ihr verschloss, seitdem Klara ihm erzählt hatte, dass sie bald abreisen würden. Ausgerechnet Klara, die sonst so schweigsam war, musste ihm diese Neuigkeit brühwarm verkünden!
Das Land war ausgedörrt, Risse taten sich im Boden auf, Gras und Buschwerk waren staubbedeckt und vertrocknet– immer häufiger sahen die Menschen zum Himmel hinauf, der am Morgen bedeckt und dunstig war, betrachteten prüfend die Wolken und hofften auf Regen. Charlotte erfuhr, dass die Regenzeit eine unsichere Sache war, in manchen Jahren kam sie spät und dauerte nur kurze Zeit an, manchmal fiel der Regen auch ganz aus. Das waren böse Jahre für die Kokospflanzungen an der Küste, die schon die Araber angelegt hatten und die jetzt von den deutschen Kolonialherren betrieben wurden.
Anfang Oktober endlich stiegen andere Wolken über dem Meer auf. Wie dunkler Rauch zogen sie über den Himmel, schwarz am Horizont, grau zerfetzte Schleier an den Rändern. Eine gewaltige Spannung hielt Mensch und Tier in Atem, die Leute gerieten schneller miteinander in Streit. Blitze zuckten über den Himmel wie Flammen, denen das Krachen des Donners fast wie eine Erlösung folgte.
Charlotte hatte die Ladentüren zwar am Morgen geöffnet, dann aber doch nicht gewagt, den Tisch oder gar die Nähmaschine nach draußen zu schieben. Klara war nicht ganz wohl, und sie war vorerst oben in ihrem Bett geblieben, was nicht weiter schlimm war, denn die Inderstraße schien wie leer gefegt. Nur ein paar schwarze Kinder spielten im Staub mit kleinen Lehmkügelchen, ein dürrer, hellbrauner Hund saß bei ihnen und versuchte, die runden Dinger zu schnappen.
Die ersten Tropfen fielen vereinzelt, malten kleine dunkle Flecken in den gelben Staub, die rasch wieder vergingen und neuen Tupfern Platz machten. Dann fiel der Regen urplötzlich mit heftiger Gewalt über die Küste her, schlug prasselnd auf die Dächer, beugte die hohen Palmen, die wie erstarrt auf diesen Angriff gewartet hatten, und die Wasserflut schoss schäumend und gurgelnd durch die
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