Himmel über dem Kilimandscharo
Existenz dieser Schachtel, aber er fand sie mit sicherem Griff.
» Nichts, was du brauchen könntest.«
Schweigend verschloss er die Schachtel wieder, doch sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er erraten hatte, um was es sich handelte.
» Du scheinst wirklich gute Geschäfte zu machen. Dieses Pulver wird auf Sansibar zu einem hohen Preis angeboten.«
» Du warst auf Sansibar?«
» Ich lebe dort zur Zeit.«
Die Unruhe erfasste sie aufs Neue. Er lebte auf Sansibar, jener geheimnisvollen Insel, die gerade einmal zwanzig Kilometer von der Küste entfernt lag und die sie doch noch nie betreten hatte. Der Küstendampfer fuhr in wenigen Stunden bis dorthin, die kleinen Dhaus der Araber und Afrikaner brauchten jedoch mehrere Tage. Dennoch erschien Sansibar ihr unglaublich nah, so nah, dass ihr fast schwindelig wurde.
» Auf Sansibar«, sagte sie verwirrt. » Ich dachte, ihr seid in Kairo…«
» Das Leben spielt seltsame Spiele«, gab er ein wenig ironisch zurück. » Ich glaubte dich in Leer und wartete ungeduldig auf deinen Brief. Es dauerte eine Weile, bis man mir mitteilte, dass du mit Klara und deinem Mann bei Nacht und Nebel aus der Stadt verschwunden bist.«
Sie biss sich auf die Lippen. Er hatte recht, sie musste dazu stehen, zumal sie bis zu diesem Tag nicht den Mut aufgebracht hatte, ihm zu schreiben.
» Die Umstände waren sehr schwierig, George. Es kam alles völlig überraschend und…«
Er ließ sie nicht ausreden. Einem plötzlichen Impuls folgend, wandte er sich ihr zu und fasste sie an beiden Händen. Alle Ironie war aus seinen Zügen gewichen, er sprach jetzt aufgeregt und voller Anteilnahme.
» Ich weiß, Charlotte! Verzeih meinen dummen Vorwurf. Ettje hat uns geschrieben, was in Leer geschehen ist, und ich… ich gestehe, dass ich voller Zorn war, als ich ihren Brief las. Wie konnte dein Mann es so weit kommen lassen?«
Ihr Herz hämmerte. O Gott, weshalb tat er das? Weshalb ließ er ihre Hände nicht los? Schon einmal hatte er ihre Hand berührt, ganz leicht nur, kaum spürbar, doch sie hatte nächtelang… Sie riss sich zusammen.
» Es war meine eigene Schuld, George. Ich hätte es sehen müssen, aber ich habe den Kopf in den Sand gesteckt, Klavier gespielt, mich in Träumereien ergangen, während um uns herum alles zusammenbrach.«
Er schüttelte den Kopf und stieß einen ärgerlichen Laut aus.
» Und weshalb hast du mir das alles verschwiegen?«, rief er vorwurfsvoll. » Ich hätte euch doch helfen können. Zwei Wochen nach eurer Abreise sind Marie, die Kinder und ich nach England zurückgekehrt, das hatte ich dir in meinem Brief angekündigt, aber du hast ihn vermutlich gar nicht mehr gelesen. Meine Güte– wir hätten euch das Geld für eine neue Existenz geliehen…«
» Das ist großzügig von dir, George, aber das hätte wenig genutzt. Und ich hätte es auch nicht gewollt. Alles ist gut so, wie es gekommen ist.«
Er starrte sie an, schien mit seinen grauen Augen in sie hineinblicken, ihre Gedanken lesen, ihre Gefühle begreifen zu wollen. Dann ließ er ihre Hände los und trat einen Schritt zurück.
» Ich vergaß, dass du ja immer schon in ferne Länder reisen wolltest«, sagte er lächelnd. » Von Anfang an steckte in dir die gleiche Sehnsucht, die auch mich in die Ferne treibt. Wir sind uns sehr ähnlich, Charlotte.«
Doch sie schüttelte abwehrend den Kopf. Die Zeiten der Träume und Sehnsüchte seien vorbei, sie habe ein Geschäft und treibe Handel, stünde mit beiden Füßen auf dem Boden. Und außerdem sei sie nicht freiwillig in die Ferne gereist, die Notwendigkeit habe sie getrieben, aber sie habe es nicht bereut. Er hörte ihr zu und blickte nachdenklich in den strömenden Regen hinaus.
» Wenn du Handel treibst, dann solltest du Sansibar kennenlernen«, sagte er, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen hatten. » Ich arbeite dort als Arzt an einer britischen Klinik und könnte dir als Fremdenführer nützlich sein.«
Sie machte eine abwehrende Bewegung, die nicht sehr überzeugend wirkte. Der Vorschlag war mehr als verführerisch, doch gerade deshalb schreckte sie davor zurück.
» Ich danke dir. Aber ich kann meinen Laden schlecht ohne Aufsicht lassen…«
» Es ist ein faszinierender Ort, Charlotte«, beharrte er. » Dort trifft Afrika auf Arabien, britischer Lebenstil auf orientalische Pracht, pralles, wimmelndes Leben in den Basaren auf bitterstes Elend in dunklen Gassen. Die Araber waren schon im zehnten Jahrhundert dort und rissen den Gewürzhandel an
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