Himmel über dem Kilimandscharo
sich, später, im sechzehnten Jahrhundert setzten sich die Portugiesen auf der reichen Insel fest, um nur allzu bald durch die Imame von Maskat besiegt und verdrängt zu werden. Es ist nicht mit Daressalam zu vergleichen, wo der ehemalige Palast des Sultans inzwischen verfällt und als Steinbruch benutzt wird– auf Sansibar ist der Orient lebendig, wer dort durch die Städte geht, der könnte glauben, die Welt der Scheherazade und des Kalifen Harun al-Raschid sei auferstanden…«
Er hatte sich in flammende Begeisterung geredet, und sie spürte, wie die Glut seiner Schilderungen auf sie übersprang. » Lass uns hinaufgehen«, sagte sie daher rasch, » dann kannst du auch Klara begrüßen. Schammi wird uns Kaffee kochen. Bestimmt finden wir trockene Kleider für dich, Klara näht die langen Gewänder der Afrikaner…«
Er schien tatsächlich einen Augenblick lang geneigt, ihrer Einladung zu folgen, dann aber lehnte er ab. Er sei dienstlich unterwegs, müsse ein Serum in die Regierungsklinik bringen und nach einem Kollegen in der evangelischen Mission schauen, der am Fieber erkrankt sei.
» Ich werde kommenden Freitag wieder in Daressalam sein«, sagte er und reichte ihr die Hand zum Abschied. » Wenn du magst, fahren wir am frühen Vormittag mit dem Küstendampfer gemeinsam nach Sansibar. Du kannst die Nacht in meinem Haus verbringen– Platz ist genug vorhanden, und eine Rückfahrmöglichkeit nach Daressalam wird sich am Samstag auch finden.«
» Ach, du bist ja nicht recht gescheit!«, wehrte sie ab. » Als ob ich meinen Laden zwei Tage lang allein lassen könnte!«
» Überleg es dir gut, Charlotte. Vielleicht kommt eine solche Gelegenheit nie wieder.«
Er lächelte, was ihn um Jahre jünger wirken ließ. So hatte er damals Marie angesehen, verschmitzt und ein wenig herausfordernd, doch zugleich mit ernsten Augen. Noch bevor ihr wirklich bewusst wurde, was dieses Lächeln in ihr auslöste, war er auch schon durch den dichten Vorhang der vom Dach herabrinnenden Wasserfäden getaucht. Ein Blitz zuckte auf und zeigte ihr schemenhaft seine davoneilende Gestalt, dann verschwand die graue Silhouette, und eine Serie krachender Donnerschläge ließ die blechernen Wasserkessel auf den Ladenregalen erzittern.
Der Küstendampfer hatte mit den aufgewühlten Wellen des indischen Ozeans zu kämpfen, dennoch folgte er gleichmütig und stetig seinem Kurs, eine schlanke Rauchfahne hinter sich herziehend. Der Himmel war bedeckt und ließ das Meer graugrün erscheinen, dämpfte auch die Farben der Küste, ohne ihr die Leuchtkraft ganz entziehen zu können. Die kleinen Koralleninseln, die der Hafeneinfahrt von Daressalam vorgelagert waren, glitten langsam an ihnen vorüber, im Dunst sahen sie aus, als wären sie von zartgrünen und zimtfarbigen Schleiern überzogen.
George hatte nicht damit gerechnet, dass Charlotte auf sein Angebot eingehen würde, hatte insgeheim sogar gehofft, sie würde es ablehnen, da er sich– so hingezogen er sich zu ihr fühlte– doch vor ihrer Nähe fürchtete. Mit eher zögerlichen Schritten nahm er daher am vereinbarten Freitag frühmorgens Kurs auf die Inderstraße, beladen mit Geschenken für sie, Klara und den kleinen boy. Charlotte stand vor ihrem Laden, ausstaffiert mit Regenschirm und Tasche, und erwartete ihn bereits.
» Du hast recht, George«, sagte sie und hob den Kopf, um ihn anzusehen. » Eine solche Gelegenheit wird nicht wiederkommen– ich möchte Sansibar sehen.«
Obgleich der Rand des Strohhutes Stirn und Augen beschattete, spürte er doch ihren prüfenden Blick, und er bemühte sich, sein Erschrecken zu verbergen, in das sich gleichzeitig unbändige Vorfreude mischte.
» Ich freue mich, Charlotte… Fast fürchtete ich schon, du würdest dich nicht entschließen können…«
Jetzt stand sie neben ihm an der Reling des Küstendampfers, hatte den Hut abgenommen, den der Wind ihr sonst vom Kopf gerissen hätte, und starrte nach Osten, wo bisher nichts weiter zu sehen war als die unendliche Weite des Ozeans.
» Ist dir kalt?«
Er hatte gesehen, dass sie in der kühlen Morgenbrise fröstelte. Für einen Augenblick wandte sie ihm ihr Gesicht zu, die dunklen Brauen tief gesenkt, die Lippen fest aufeinandergepresst. Er hätte sie nicht mitnehmen sollen, hätte ihr den Vorschlag gar nicht erst machen dürfen, doch dann war es zu spät gewesen. » Ich friere nicht, danke.«
Er hätte ihr seine Jacke umlegen können, doch er spürte ihre Abwehr und respektierte sie. Mit Sorge dachte
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