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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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kleines Stück Meer erkennen. Es war tiefblau, die Mittagssonne spiegelte sich gleißend auf dem Wasser, als habe jemand flüssiges Silber darauf gegossen. In der Ferne lag matter, nebeliger Dunst.
    Hinter ihr war der boy ins Arbeitszimmer getreten und brachte Tee, eine Schale mit Früchten und etwas Gebäck. George hatte ihn » Jim« genannt, doch das war ganz sicher nicht sein wirklicher Name.
    » M’se wünschen Milch zum Tee? Oder Limonensaft?«
    » Milch ist gut. Danke, Jim. Wie heißt du auf Afrikanisch?«
    » Mtitima«, gab er mit leichter Verwunderung zurück. » Aber hier auf Sansibar ich bin Jim.«
    Sie erfuhr, dass seine Eltern als Sklaven nach Sansibar gebracht worden waren, jetzt waren sie frei und wollten auf keinen Fall zurück an die Küste. Das Leben war schön auf Sansibar, viel besser als drüben auf dem Festland. Dort hatten sie hungern müssen, bekamen das Fieber, in den Trockenjahren starb das Vieh. Sansibar war anders, hier war es immer warm, hier waren die Menschen fröhlich, es gab pombe und Reiswein und viele schöne Frauen…
    Er hatte ihr eine Tasse Tee eingegossen und sich dann wieder zurückgezogen. Sie setzte sich damit auf einen der Stühle, um das heiße, aromatische Getränk langsam zu schlürfen. Es würde ihr helfen, zur Ruhe zu kommen und ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen. Wie leichtfertig sie doch gewesen war, als sie beschlossen hatte, Georges Einladung zu folgen. Ach du lieber Himmel, was würde Klara von ihr denken, wenn sie erfuhr, dass Marie und die Kinder gar nicht auf Sansibar, sondern in England waren? Aber was hätte sie tun sollen? Ein Hotel konnte sie nicht bezahlen, und auch die Unterbringung bei Freunden wäre ihr peinlich gewesen.
    Sie stellte die leere Tasse ab und lehnte sich zurück. George hatte eine beneidenswert schöne Wohnung, weitläufig und hell. Außer den Wirtschaftsräumen gab es im Erdgeschoss zwei Gästezimmer, im Obergeschoss verfügte er über Arbeitszimmer, Schlafraum und ein hübsch eingerichtetes Wohnzimmer. Das Mobiliar und die üppig wallenden Vorhänge – eine Mischung aus England, Indien und Afrika– gehörten nicht ihm, sondern waren Hinterlassenschaften seiner Vorgänger. Dennoch atmeten die Räume Georges Gegenwart. Bücherstapel, aus denen Lesezeichen herausragten, lagen auf Schreibtisch und Fensterbrett, auf einem Tischchen neben dem Sessel stand ein vergessenes Glas, in dem noch ein Rest des Getränks verblieben war. An den Wänden sah man kolorierte Zeichnungen, die ganz sicher von seiner Hand stammten, denn sie ähnelten den Zeichnungen in seinen Briefen…
    Ihre Gedanken schweiften in eine andere Richtung. Nein, sie wollte jetzt nicht über George nachdenken, viel eher über die unfassbar vielen, aufregenden Eindrücke, die an diesem Tag über sie hereingebrochen waren, über den Zauber dieser Insel, die ihr beim ersten Anblick wie ein schöner Traum erschienen war. Die Basare mit ihrer unendlichen Vielfalt an Waren, wo man den Duft der Orangen und reifen Mangos einatmete, das Aroma der exotischen Gewürze, aber auch den Gestank von Öl, Unrat und verfaulender Fische. Was für ein Gewimmel von Menschen jeglicher Nationalität– Inder, Somali, Araber, Abessinier, Europäer, Asiaten–, da konnte Daressalam nicht mithalten. Vor allem die Frauen waren anders, man sah sie in schreiend bunten Gewändern und abenteuerlich gestalteter Haartracht, sie wiegten beim Gehen die Hüften und sahen den Männern offen in die Augen. Wasserverkäufer und schwarze Lastenträger quetschten sich durch die Menge, Araber trieben ihre rot gefärbten, sehnigen Reitesel rücksichtslos durch die engen Gassen, Kühe standen gleichgültig kauend im Weg herum. Einmal waren sie einem Zug aneinandergeketteter schwarzer Gefangener begegnet, die armen Kerle waren mit nichts als einem zerrissenen Hüfttuch bekleidet, und der Aufseher trieb sie mit der kiboko, wie man die Nilpferdpeitschen auf Suaheli nannte, gnadenlos voran. Man hatte sie wegen irgendwelcher Vergehen verurteilt, nun mussten sie die Trümmer um den zerstörten Palast aufräumen.
    Sie beugte sich vor, um sich eine zweite Tasse Tee einzuschenken, trank einige Schlucke und stellte fest, dass sie leichte Kopfschmerzen hatte. War es gut, sich in dieser Verfassung Georges Manuskripten zu widmen, die drüben auf dem Schreibtisch auf sie warteten? Mit einer entschlossenen Bewegung stellte sie die Tasse auf die Untertasse, der heiße Tee schwappte über und verbrannte ihr die Finger.

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