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Himmel über dem Kilimandscharo

Himmel über dem Kilimandscharo

Titel: Himmel über dem Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bach
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Ärgerlich wischte sie die Hand an ihrem Rock ab und stand auf, froh, dass nichts auf die hübsche, bunte Tischdecke gelaufen war. Sie fand mehrere Bleistifte und ein Radiermesser neben den Papieren, einen Rotstift allerdings nicht, obgleich George beide Schubladen danach durchsucht hatte, bevor er zur Klinik aufgebrochen war.
    Zuvor hatten sie Scherze über seine überschwänglichen Briefe gemacht, seine romantische Vorstellung, sie, Charlotte, könne als seine Muse neben ihm sitzen, seine Gedanken und Phantasien beflügeln. Nein, sie war keine Muse, vielmehr eine gründliche und eifrige Leserin, die mit vorsichtigem Stift Ausdrücke korrigierte, eine Anmerkung oder eine Frage einfügte. Er hatte widersprochen und behauptet, ohne ihre ermutigenden Briefe hätte er diese vielen Seiten niemals geschrieben.
    » Du ahnst nicht, wie unsicher ich im Grunde bin und wie sehr ich deine Hilfe brauche.«
    Sie hatte nicht antworten können, denn sie musste ein seltsam warmes, zitterndes Glücksgefühl niederkämpfen, das gleiche, das sie während der vergangenen Woche immer wieder überkommen hatte. Es war eine ungeheuer süße Empfindung, die ihr gerade darum verdächtig erschien und die sie auf keinen Fall zulassen wollte. Ja, sie würde tun, was sie ihm versprochen hatte, sie würde sein Manuskript überarbeiten, gründlich und genau, mit klarem Kopf, aber ohne sich allzu sehr auf seine Texte einzulassen.
    Kaum hatte sie mit ihrer Arbeit begonnen, wurde ihr klar, dass sie sich etwas vorgemacht hatte. Schon nach den ersten Zeilen spürte sie den Sog seiner Worte und versank darin. Da war er wieder, dieser rätselhafte Mensch, der sich so harmlos und liebenswert geben konnte und gleichzeitig solche Abgründe in sich trug. Der Grenzgänger, der Mann, der sich immer neue Herausforderungen suchte, der den Tod nicht scheute und doch mit allen Fasern seines Seins am Leben hing. Sie glaubte, neben ihm in einem der schwankenden Dhaus zu sitzen, die sich langsam nilaufwärts bewegten, an braunen Krokodilen und grauen Flusspferden vorbei. Sie kletterte an seiner Seite zum Felsentempel des Pharaos empor, sie lag bei ihm auf den nassen Bootsplanken, fiebernd, wirre, phantastische Bilder vor Augen, den Schädel fast berstend vor Schmerz. Noch mehr aber schlugen sie die folgenden Seiten in Bann. George schrieb über seine Arbeit an der englischen Klinik in Kairo, schilderte die Schicksale seiner Patienten und ihrer Familien; Menschen, die so arm waren, dass sie kaum die nötige Nahrung kaufen konnten, um zu überleben, geschweige denn Medikamente für den Kranken. Es war eine beklemmende Lektüre, die zwischen bitterer Resignation und zornigem Aufbegehren schwankte. George hatte sich dagegen gewehrt, dass man Unterschiede zwischen den Patienten machte, dass Mittel wie Chinin, das entzündungshemmende Antipyrin oder auch Äthernarkosen bei Operationen nur für europäische Patienten verfügbar waren. Auch wies man Tuberkulosefälle oder Lepra in der Klinik ab, um sich keiner Ansteckungsgefahr auszusetzen. Die Malaria– dort als » Fluch des Nils« bekannt–, wurde bei Europäern versuchsweise mit Methylenblau behandelt, wobei es Erfolge gegeben hatte– für die ägyptische Bevölkerung war eine solche Therapie undenkbar. Jeder Europäer, auch wenn er arm war, genoss eine bessere medizinische Behandlung als ein einfacher Fellache. Freilich, die Missionare waren hingebungsvoll bemüht, die Krankheiten der Eingeborenen zu heilen, doch auch hier wurden Unterschiede gemacht. Auf Sansibar war es mit den Bekehrungen zum christlichen Glauben nicht so recht vorangegangen, viele Missionen waren zum afrikanischen Festland hinübergewandert und hatten ihre Krankenstationen auf Sansibar geschlossen.
    Wer sich nicht bekehren lassen wollte, durfte auch nicht an den Segnungen der europäischen Medizin teilhaben.
    Charlotte musste sich die Blätter ein zweites Mal vornehmen, um ihre Anmerkungen zu setzen; beim ersten Durchlesen war sie zu aufgewühlt gewesen. Wie hatte sie vergessen können, dass er schon damals in Leer mit der üblichen Haltung der Europäer nicht konform gegangen war? Damals hatte er mit ihrem Großvater über die Sprachen der afrikanischen Eingeborenen gestritten und– wenn sie sich recht entsann– auch über Sinn und Zweck einer Kolonie. Ein » Weltverbesserer« sei dieser junge Mann, hatte Henrich Dirksen damals kopfschüttelnd gemeint. Was für Kleingeister sie doch alle gewesen waren! Charlotte war voller Bewunderung für

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